Getäfelte Wände, rustikale Stammtische und Küche: So kennt man viele Vereinslokale in Kleingartenanlagen. In Berlin ändert sich das langsam. Im Pankower Ortsteil Rosenthal kocht jetzt der ehemalige Küchenchef eines Fine-Dining-Restaurants. Eine ehemalige Dekorateurin hat in Britz ein Vereinslokal erfolgreich umgekrempelt und in Prenzlauer Berg ist Die Laube mit Lesungen und Konzerten auch zum kulturellen Treffpunkt für die Nachbarschaft geworden.
Vegetarische Kost in der Laubenkolonie
Ein Gericht sieht verlockender aus als das andere: Marcus Kümmel, einst Küchenchef im veganen Restaurant Kopps in Berlin-Mitte, zaubert aus Karotten, Kohlrabi, Kräutern und anderen meist pflanzlichen Zutaten im Restaurant Bollenpieper exzellente Kreationen, die liebevoll angerichtet sind. Und das mitten in einer Laubenkolonie. Vor fast einem Jahr hat er sein Lokal eröffnet und es erfolgreich über den ersten Winter gebracht. Viele Gäste sind begeistert: «Viele vegane Optionen. Handwerk und menschlich absolut Spitzenklasse», so lautet eine der fast durchweg positiven Google-Rezensionen.
Doch warum ausgerechnet eine Laubenkolonie? «Jeder Koch träumt von einem eigenen Restaurant», erzählt Kümmel. Außerdem habe er sich einen kürzeren Arbeitsweg gewünscht. «Jetzt sind es nur noch vier Minuten», sagt der 42-jährige Vater zweier Kinder. Die Gaststätte habe er schon als Kind gekannt, zuletzt sei es nur noch eine Ruine gewesen, die zur Verpachtung frei war. Kümmel bekam den Zuschlag und kann sich eigenen Worten zufolge nichts Besseres mehr vorstellen: «Hier zwitschern die Vögel und rascheln die Blätter an den Bäumen. Hier können die Leute einfach mal entspannen.» Außerdem kämen auch die Zutaten für sein Essen zum Teil direkt aus den Gärten. Kürzere Lieferwege gebe es nicht.
Sein Ziel sei es, dass sich jeder einen Restaurantbesuch leisten kann, daher biete er seine Küche im unteren Preissegment an. «Wir überleben eigentlich nur dadurch, dass wir alle unser Handwerk beherrschen. Ich will für alle da sein», sagt Kümmel, wobei er auch Abstriche machen müsse. «Ich möchte keine Bockwurst für 1,50 Euro anbieten, wie es von einigen gewünscht wird», sagt er.
Auch die Britzer Neu-Wirtin Mandy Abel nimmt in Kauf, dass manche Gäste nicht mehr zur Kundschaft gehören. «Von Stammtischrunden allein kann ich einfach nicht leben», sagt die ehemalige Dekorateurin. Sie hat mitten in der Corona-Pandemie den Schritt in die Gastronomie gewagt und das Vereinslokal mit seinen getäfelten Wänden in der Kolonie am Buschkrug komplett umgekrempelt. «Wir haben alles, was braun war, weiß gestrichen, selbst die Stühle», erzählt die Wirtin. «Man passt sich den jungen Familien an. Man kann nicht mehr im 80er-Jahre Look als Raucherkneipe auftreten. Das ist nicht mehr zeitgemäß», sagt sie.
Besonders beliebt bei den Gästen, die auch aus der Nachbarschaft kommen, sei der selbstgebackene Kuchen, so Abel. Bei ihr gibt es zwar noch die Klassiker Bockwurst und Strammer Max, allerdings auch zumeist vegetarische Tagesgerichte.
Recht auf Currywurst
«Jeder hat ein Recht auf Currywurst», ist Wirt Stephan Trosiner überzeugt. In seinem Lokal Die Laube in der Kleingartenanlage «Am Volkspark» in Prenzlauer Berg gibt es die Wurst allerdings auch als vegetarische Variante. Trosiner setzt aber nicht nur auf Speisen. Gerade in der heutigen Zeit und der Wohnungsknappheit in Berlin sei der Senat «heiß» auf die Flächen der Kleingartenanlagen. Da müsse man sich anders aufstellen.
«Wir müssen uns Gedanken darüber machen, wie die Anlagen nicht nur für die Pächter, sondern die ganze Gegend attraktiv sein können», ist er überzeugt. «Es sind Naherholungsgebiete, zu denen sauber geführte Gaststätten mit Kulturprogramm einfach dazugehören», betont der 54-Jährige. Neben dem ökologischen sei eben auch der soziale Aspekt wichtig. Eine der beliebtesten Veranstaltungen in der «Laube» sei die «Disco mit Stulle». Hinzu kämen Konzerte, Lesungen oder auch mal ein Theaterstück.
«Das Kleingartenwesen befindet sich bereits seit Längerem im Wandel. Kleingartenanlagen öffnen sich immer mehr für die Bevölkerung. Da ist es gut und zwangsläufig, dass sich auch die bewirtschafteten Vereinsheime verändern», sagt Gert Schoppa, Präsident des Landesverbands Berlin der Gartenfreunde. Die Vereinsheime könnten einen wesentlichen Beitrag dazu leisten, dass viele Menschen die Kleingartenanlagen als Naherholungsgebiete verstehen und nutzen, betont auch er.
Kreative Ideen sind gefragt
Berlin ist laut Bundesverband der Kleingartenvereine Deutschlands mit rund 66 000 Gärten Kleingartenhochburg. Entsprechend groß dürfte auch die Zahl der Vereinslokale sein. Auch in anderen Anlagen haben neue Pächter alte Lokale entrümpelt und neu eröffnet. Im Wedding zum Beispiel eröffnete im vergangenen Jahr Buddhas Garten, ein Café und Restaurant, das an den Wochenenden auch asiatische Küche anbietet.
Und in Prenzlauer Berg hat die ehemalige Kiezkneipe «Höher’s Eck» in einer Kleingartenanlage ein neues Domizil gefunden, nach dem die Betreiberinnen Athina und Andrea Dürre die angestammten Räume in der Gleimstraße verließen. In dem Gartenlokal Bornholm’s werde nun meist weniger getrunken als in der Eckkneipe, dafür biete sie mit ihrer Mutter auch Speisen an und organisiere Veranstaltungen, sagt Athina Dürre. «Wir übertragen jetzt auch die Fußball-EM.»
Im Süden Neuköllns sei ihr Lokal inzwischen ein Vorzeigeobjekt für andere Pächter, die sich bei informierten, berichtet die Britzerin Mandy Abel. «Viele kommen nicht über den Winter.» Ab Ende Oktober sei die Kleingartenlage schließlich leer und Laufkundschaft gebe es kaum. Da müsse man kreativ werden. Sie schafft es mit Feiern und Veranstaltungen. Bei Hundertschaften der Polizei, Feuerwehr oder auch Neuköllner Krankenhausmitarbeitern sei das Lokal ebenso beliebt wie bei Hochzeits- oder Geburtstagsgesellschaften.
Hinzu kämen Oktober-Feste, Weihnachtsfeiern oder auch 80er-Jahre-Partys. «Durch die abgeschiedene Lage müssen wir uns auch nicht an strenge Lärmbestimmungen halten», sagt Abel. Neben der vergleichsweise günstigen Pacht und der Lage mitten in der Natur sei dies einer der größten Vorteile eines Lokals in einer Kleingarten-Kolonie.