Sabrina Reuter und Michael Engelbrecht

Sabrina Reuter (Unternehmensberaterin) und Michael Engelbrecht (Historiker)

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Möbel, Musik und Matkultur

Der Norden und die Esskultur
20. Oktober 2022

Mat/mad ist das nordische Wort für Essen. Matkultur hat sich im Norden als fester Begriff für Kochkunst und Genuss durchgesetzt. In den letzten zwanzig Jahren ist dabei die skandinavische Spielart zu einem wichtigen Teil des nordischen Selbstverständnisses geworden. In der übrigen Welt wird der Norden vor allem in Verbindung mit Möbeln und Musik gebracht. Zunehmend nun aber auch mit Esskultur. 


Es werde hell

Die dänischen und schwedischen Möbel des 17. und 18. Jahrhunderts folgten den europäischen Trends Renaissance und Barock. Dank der traditionellen Stilmittel nordischer Tischlerkunst und der Sehnsucht nach Helligkeit und Licht bekamen sie aber eine eigene Leichtigkeit in hellen Farben. Dieses Fundament wurde im 20. Jahrhundert durch skandinavische Designer mit modernen Materialien und Elementen angereichert. Heutzutage sind diese Möbel in allen Preiskategorien rund um den Erdball begehrt und finden sich regelmäßig in guten Wohnzeitschriften. Das Design hat inzwischen auch das gesamte Wohnumfeld erfasst.

Volksmusik wurde an Nord- und Ostsee nicht nur durch Carl Michael Bellman, sondern auch durch eine ganze Reihe anderer populärer Liedermacher mit aktuellen Texten versehen und durch die jeweils modischen Rhythmen auf die Höhe der Zeit gehoben. Walzer, Tango, Jazz und schließlich Pop, Rock und HipHop gingen mit traditionellen Stilelementen und flotten Texten eine Verbindung ein, die hör- und tanzbar spätestens seit Abba um die Welt geht. Die ständigen Gewinne beim Eurovision Songcontest sind Beleg dafür.


Spezialitäten zum Ablecken

Nun hat sich die Esskultur dazugesellt. Die besten Restaurants werden aktuell im Norden lokalisiert und 2016 haben sich die Postverwaltungen der nordischen Länder entschlossen, diesen Trend gemeinsam auf Briefmarken zu verewigen. Grönland, Island, die Färöer, Norwegen, Dänemark, Schweden, die Åland-Inseln und Finnland geben alle zwei Jahre eine Briefmarkenserie mit gemeinsamem Motto heraus und 2016 hieß es „Nordisk Matkultur“. Auf jeweils ein oder zwei Marken wurden für das jeweilige Land Spezialitäten dargestellt.

Von Knäckebrot bis Walspeck

Grönlands Marken zeigen den Kopf einer Lodde, eines für die dortige Industrie wichtigen Fisches aus der Familie der Stinte, der in großen Schwärmen die nordischen Meere durchschwimmt. Auch das zweite Motiv des Landes ist meergebunden und für Mitteleuropäer durchaus kontrovers. Es handelt sich um Mattak, Walspeck mit Haut, die größte Delikatesse der Insel, voll mit Vitamin C und nach Avocado schmeckend. Die Nachbarn auf Island haben ihren beiden Marken Fisch, Fleisch und Gemüse im Rohzustand abgebildet, um auf die Qualität der Zutaten einer guten Kochkunst hinzuweisen. Die Norwegen haben sich für die Ergebnisse begeistert. Sie zeigen Zubereitungen durch die Köche von Hurtigruten, der größten Restaurantkette des Landes, deren elf Gaststätten sich alle auf den Schiffen der norwegischen Postdampfer befinden und von Maaemo in Oslo, dem ersten norwegischen Restaurant mit drei Michelin-Sternen. Sein Küchenchef, Esben Holmboe Bang, ist bekannt für Verwendung einheimischer Produkte. Die Motive sind Seekrebs auf Tannenzweigen von Bang und Rote-Bete-Byggotto mit Dorsch, Grünkohl und Birkensalz aus der Schiffsküche. Die rote Bete wurde für das Byggotto feingehackt und nach Art eines Risottos zubereitet. Schweden und Dänemark dokumentieren ihre klassischen nationalen Gerichte. Auf dänische Seite sind es die traditionelle Sterneschnuppe, eine Zusammenstellung unterschiedlich zubereiteter Meeresfrüchte und geräucherter Hering. Die Schweden dokumentieren ein Fischbuffet mit traditionellen Beilagen wie Knäckebrot, Spiegelei, Pellkartoffeln und Hartkäse, garniert mit Schnittlauch. Den Nachtisch servieren die Åland-Inseln und Finnland. Finnisch einfach kommt die mit Milchreis gefüllte Pirogge daher, Åland serviert Sanddorn auf drei verschiedene Arten mit Vanille und Schokolade garniert. Einen intimen Einblick gewähren die Färöer. Die Marke gibt den Blick auf das Innere eines Holzschuppens frei, der als Speisekammer dient. Hier finden sich frischgeschossene Kaninchen, einige Lummen, Fischköpfe und Trockenfisch und aufgehängte Schafsinnereien sowie weitere Beilagen der färingischen Küche.


Innovation durch Integration

Die gesamte Serie zeigt traditionelle nordische Produkte, klassische Zubereitung, die Nähe zum Meer, raffinierte Zusammenstellung und Kochkunst, bewährte und moderne Interpretationen. Hier wiederholt sich das Erfolgsrezept von Möbeln und Musik. Die skandinavischen Länder haben seit der Wikingerzeit, später durch die Hanse und ihr Engagement im Dreißigjährigem Krieg immer wieder Einflüsse von Süden bekommen und diese in Gesellschaft und Kultur integriert. So blieben sie modern und traditionell zugleich. Daraus entwickelten sie Innovationen, wie Kunst und Musik Ende des 19. Jahrhunderts und Lebensstil und Popkultur in den letzten 40 Jahren. Seit Beginn des 21. Jahrhunderts ist der Einfluss des Nordens auf die Esskulturen der Welt auf dem Vormarsch. Waren die Anfänge noch im Schatten preiswerter Sofas gebratene Fleischklopse, ist es inzwischen raffinierte, gesunde und schmackhafte regional inspirierte Küche. Der nächste Erfolg steht übrigens schon in den Startlöchern, es folgt die Mode.