Mit Experimentiergeist durch die Krise

Bremer Barkeeper trotzt Corona und geht unter die Getränkehersteller
2. Februar 2021

Ein Beitrag von Astrid Labbert

Die letzte Marge ist gerade produziert: Noch Tage später spürt Mario Ippen seine Hände – vom stundenlangen Pressen von Zitronen und Limetten. Palettenweise und per Hand. „Es dauert ewig, bis man sie frisch gepresst hat. Aber das ist unser Anspruch“, sagt der Inhaber der Bremer Lemon Lounge Am Wall und lacht. Bei der Qualität und Frische will der Barkeeper in der „Buddel“ keine Abstriche machen. Die „Buddels“ – das sind Cocktails in der Flasche für Zuhause. Acht Cocktailsorten hat der 45-Jährige im Laufe des vergangenen Jahres in die Flasche gebracht, vom klassischen „Singapore Sling“ mit Gin und Kirschlikör bis zum „Mango Cooler“ und „Kon Tiki Tropical Itch“ mit Gin und Limettensaft. Die Corona-Pandemie hat Ippen zum Getränkehersteller werden lassen.

Mario Ippen ist mit seinen Flaschencocktails erfolgreich: Er bekam für seine Idee in Coronazeiten eine Auszeichnung. © Jens Lehmkühler

Online-Shop aufgebaut

Rund 8.500 Flaschen verließen allein im letzten Quartal des Jahres 2020 die neue Produktionsstätte in der Bremer Union-Brauerei, um im neu aufgebauten Online-Shop und in Pop-up-Stores in der Stadt verkauft zu werden. Die Bilanz lässt sich sehen angesichts eines Jahres, in dem die meisten Pläne von Gastronomen pandemiebedingt eine kurze Haltbarkeit hatten. Das soll bei den „Buddel Cocktails“ anders sein.


Vom Außer-Haus-Verkauf zum Getränkeprodukt

In der Ungewissheit des ersten Lockdowns ging es noch darum, Kundenwünsche von der Lemon Lounge aus mit frisch zubereiteten Cocktails in Flaschen zu bedienen und gleichzeitig Lagerbestände abzubauen. Im Jahresverlauf professionalisierte Ippen die Produktion der Flaschen-Cocktails. Er holte Genehmigungen ein und fand mit der Union-Brauerei in Bremen-Walle eine lokale Partnerin, die alle Hygienevorgaben routinemäßig erfüllt. Jetzt sind die Cocktails mit Haltbarkeitsdatum versehen und fallen unters Lebensmittelrecht. Der Barkeeper und Lounge-Inhaber ist unter die Lebensmittelhersteller gegangen.


Höherer Alkoholgehalt für die Haltbarkeit

Alle Cocktails haben – anders als am Tresen – einen Alkoholgehalt von mehr als zehn Prozent. So sind sie mindestens zwölf Monate haltbar. Das Kunststück sei dabei, sie so zu mixen, dass sie auch mit erhöhtem Alkoholanteil den gewohnten Geschmack haben. Das wiederum ist Mario Ippens Metier: Seit rund 20 Jahren mixt der 45-Jährige bereits Cocktails.


Auf das Bauchgefühl gehört

Ippen ist noch Schüler, als er seinen ersten Aushilfsjob in einem Bremer Veranstaltungs- und Konzerthaus beginnt. Die gestandene Tresenchefin begrüßt ihn mit den Worten: „Mario, du gehörst jetzt zur Familie.“ Das gefällt ihm. Jahrelang arbeitet er dort hinter dem Tresen, erst neben der Schule, dann neben der Ausbildung zum Industriekaufmann bei Siemens. Es sei eine gute Ausbildung gewesen, von der er noch heute profitiere, sagt er. Trotzdem bleibt er nicht im Unternehmen: „Ich entschied mich, auf mein Bauchgefühl zu hören.“ Zivildienst, Wirtschaftsstudium an der Hochschule Bremen, Nebenjobs in Diskotheken. „Wenn andere feiern gingen, war ich da, um zu arbeiten.“ Und in einem Club bekommt er schließlich die Gelegenheit, den ersten eigenen Cocktail für Gäste zu mixen: einen „Grasshopper“.

Die Flaschencocktails werden inzwischen in Kooperation mit der Bremer Union-Brauerei hergestellt. © Jens Lehmkühler

Grün und süß: der erste „Grasshopper“

Das Rezept sei aus einer Dr. Oetker-Zeitschrift gewesen, erinnert sich Ippen. Mit weißem Kakao-Likör, Sahne und grünem Minz-Likör. Es sind keine hitverdächtigen Zutaten, und doch: Der Nachwuchs-Barkeeper mixt das Getränk den ganzen Abend. Eine Idee zu haben, umzusetzen und „alle freuen sich wie Bolle“: Das habe er da zum ersten Mal erlebt, sagt Ippen.

Lounge wird zur Experimentierküche

Wenig später wird der damalige Bremer Lemon Club zu seiner „Experimentierküche“. „Jede Woche wurden neue Drinks probiert, auch weil die Gäste sehr wissbegierig waren.“ Mit 24 übernimmt er den Geschäftsführerposten. Da ist er eigentlich noch Student, aber „die Bar nach oben zu pushen, hat tierisch viel Spaß gemacht.“ 2001 macht er sich selbstständig mit der Lemon Lounge, sie wird schnell eine feste Größe im Bremer Nachtleben. Das Ambiente gehört für den Barkeeper zum Getränk dazu: „Wir machen Drinks: Das mag oberflächlich klingen. Aber was du auf der Zunge hast, wenn du einen Cocktail trinkst, ist alles andere als das.“ Es mischten sich Erwartungshaltung, Gelegenheit und Stimmung. Deshalb gehöre für ihn auch immer die Frage an den Gast dazu, der einen Drink bestellt: „Wonach steht dir heute der Sinn?“

Beruf und Leidenschaft liegen bei dem Bremer eng beieinander. Was er am meisten schätzt, sei das Handwerk, sagt Ippen. „Jeder Handgriff sitzt, weil man ihn schon ein paar tausendmal gemacht hat. Das ist wie beim Tanzen.“ Sein Cocktail-Wissen gibt er inzwischen in Kursen weiter, coronabedingt auch das zuletzt mit großen Abstrichen.


Auszeichnung: Mixology Award 2021

Im Herbst erhielt Ippen den „Mixology Award 2021“. Die Bar-Fachzeitschrift „Mixology“ zeichnete damit „innovative Köpfe“ aus, die kreativ und mutig auf die coronabedingte Krise reagierten. Mit den Flaschencocktails soll es auch nach der Pandemie weitergehen: „Weil ich viel Potenzial sehe und Ideen habe, die ich gerne umsetzen möchte.“ Mit „Pusser’s Painkiller“ mit Rum und Ananassaft hat er zudem ein Alleinstellungsmerkmal. „Es ist einer von drei Cocktails weltweit, die namensrechtlich geschützt sind.“ In Deutschland habe er als einziger die Erlaubnis zum Abfüllen.

Irgendwann wird auch die Lounge wieder öffnen. Nur wann? Mario Ippen hat mit den Flaschen-Cocktails in diesen Tagen genug zu tun, aber er ist sich sicher: „Es ist ganz wichtig, dass es wieder diese Orte gibt, an denen sich Leute treffen, kennenlernen und Zeit miteinander verbringen können.“ Und an denen Getränk und Gelegenheit zusammenkommen.

Im Herbst erhielt Ippen den „Mixology Award 2021“ in der Kategorie „Das Konzept in Flaschen“. © Jens Lehmkühler

 

Mario Ippen, Inhaber Lemon Lounge, Tel.: +49 421 514 88 55, E-Mail: mario@lemonlounge.de