Er hatte lange einen schlechten Ruf. Bieder im Geschmack sei er, muffig, bitter, fett. In Zeiten wo das Regionale, „das Authentische“ wieder gefragt ist, sich die Verbraucher/innen für Omas und Opas alten Gemüsegarten interessieren, kommt Kohl zu neuen Ehren. Auch durch das Kohl-Kochbuch der Dänin Mette Mølbak. Vollkommen zurecht, ist Kohl doch identitätsstiftend für den Norden und darüber hinaus ein Alleskönner in der Küche.
„Als Kind gab’s Kohl nur höllisch verkocht“: Noma-Mitbegründer Claus Meyer über Kohl
Vor gut 10 Jahren trug Claus Meyer dazu bei, die Neue Nordische Küche auf die gastronomische Weltkarte zu setzen – und damit auch den Kohl, der als einer der Eckpfeiler der Nordischen Küche gilt. Persönlich hatte Claus Meyer viele besondere Erlebnisse mit Kohl.
„Kohl ist ganz einfach mein Lieblingsgemüse. Vor allem gefällt mir, dass fast alle Kohlsorten so schön knackig sind, auch die bittere Note von Kohl sagt mir zu. Kohl hat etwas, was andere Nahrungsmittel nicht haben. Ob blanchiert oder angeschwitzt hat er diese bittere Note und behält seine etwas grobe Struktur. Dazu kommt ein leicht brennender, etwas senfartiger Geschmack. Ich liebe die grüne Farbe des Grünkohls ebenso wie die Gelbtöne des Wirsings. Auch seine schöne und interessante Textur ist ein Gewinn für viele Gerichte. Der Kohl, den es bei uns zu Hause gab, war höllisch verkocht. Von daher stammt meine Begeisterung für Kohl also bestimmt nicht. Bei uns gab’s geschmorten Grünkohl mit Sahne und karamellisierten Weißkohl. Auch gekochten Rosenkohl hat man mir vorgesetzt. Das war nun so gar nicht mein Ding. Acht Minuten lang gekocht, schmeckte er wie schon mal gegessen.
Ich bereite jetzt schon seit 25 Jahren Kohl zu, aber erst mit Gründung der Nordischen Küche und Noma vor gut 10 Jahren, habe ich mich intensiv mit Kohl beschäftigt. Wir untersuchten, welche charakteristischen Grundnahrungsmittel es hier gibt, die eine besondere Artenvielfalt aufweisen, in die wir uns vertiefen konnten. Kohl gedeiht ausgezeichnet in unseren Breitengraden. Selbst Temperaturen von minus 10 Grad können ihm nichts anhaben. Der Frost muss schon extrem sein, bevor der Kohl aufgibt. Und schon im nächsten Jahr schießt er wieder aus dem Boden. Doch erst als ich am OPUS-Projekt teilnahm (ein Forschungsprojekt, das u.a. das Gesundheitspotenzial der nordischen Grundnahrungsmittelbasis untersuchen sollte, Anm. d. Red.), und wir uns mit the new nordic diet versuchten, wurde ich mir all der qualitativen Eigenschaften bewusst, die Kohl für unsere Gesundheit hat.
Kohl enthält unter anderem Senfölglycoside, die vorbeugend gegen Krebs wirken. Kohl ist ein wesentlicher Bestandteil der Neuen Nordischen Küche. Könnte man eine Röntgenaufnahme von den 200 besten Restaurants in Dänemark machen, würde man jede Menge Kohl auf ihren Menüs finden. In den vergangenen 15 Jahren gab es eine rasante Entwicklung, jetzt findet er sich ganzjährig im Menü. Ich glaube, die Köche haben erkannt, dass der Kohl genauso eng verbunden ist mit uns und unserer Geschichte wie die Tomate mit den Italienern und Chili mit den Südamerikanern. Das eben ist ja die Essenz des Kochens: etwas zuzubereiten, das gut schmeckt, wobei das Erlebnis beim Kohl noch eine weitere Dimension hat, da es geradezu epochemachend war. Als ich das erste Mal einen Grünkohlsaft mit Birne und Apfel schmeckte, fand ich das sensationell. Eine superinteressante Dimension für einen ansonsten eher laschen Fruchtsaft. Oder als ich zum ersten Mal Grünkohl anschwitzte, also so volle Kanne in Öl, ohne umzurühren, einfach 30 Sekunden lang drauf los, dann Salz dazu und Wasser, den Deckel drauf, also fast wie Dampfbraten. Das bringt einfach einen Wahnsinnsgeschmack.
Man sollte ja glauben, dass es ungenießbar würde, wenn man weiter auf die Bitterkeit des Kohls aufbaut. Auch als ich zum ersten Mal roh marinierten Grünkohlsalat zubereitet hatte, fand ich das umwerfend. So etwas hatte ich noch nie zuvor geschmeckt – so einen rohen Grünkohlsalat. Oder als ich zum ersten Mal eine Suppe kochte, bei der ich den Kohl nur eine Minute mitkochen ließ, sodass er seine schöne Farbe behielt – das war wirklich eine Pracht. Also, auf die Art hatte ich viele unvergessliche Erlebnisse mit Kohl. Ich habe gerade einen Kohlsalat zu Mittag gegessen. Und gestern gab es Wirsing – sowohl in der Suppe als auch als Rohkostbeilage, und im Moment gibt es wohl keinen Kohl mehr im Haus. Draußen im Garten wächst nur ein bisschen Giersch. Aber das ist die Ausnahme. Ich glaube, ich esse etwa jeden zweiten Tag Kohl. Bei uns zu Hause gibt es da mehrere Klassiker. Als Rohkost mit einem Dressing aus Rapsöl und Balsamessig oder auch mit einem eher asiatischen Dressing. Bauernsuppen, Spitzkohl mit Omas Sahnesoße und Meerrettich, oder auch einfach in Butter gedünsteter Kohl kommen bei uns oft auf den Tisch.“
Claus Meyer, Gastronom und Unternehmer. Einer der Gründer der Neuen Nordischen Küche und des Restaurants Noma. Besitzer und Miteigentümer mehrerer Unternehmen und Restaurants.
Kohl war früher (noch) gesünder
Im Laufe der Zeit wurden Selektionen und Veredelungen am Kohl vorgenommen, sodass die Kohlsorten, die wir heute in den Läden finden, süßer und weniger bitter sind als früher. Der Grund hierfür ist in der Industrialisierung der Nahrungsmittelproduktion zu suchen, deren Ziel es war, die Vorliebe der Verbraucher für milde und süßliche Gemüse auszuloten. Nur leider ging während dieses Prozesses auch ein entscheidender Gesundheitseffekt verloren, wie ein groß angelegtes Forschungsprojekt der Universität von Aarhus nachweist. In dieser hat ein großes Forscherteam die alten Sorten untersucht, die mit Samen aus der Nordischen Genbank gezüchtet wurden. Dabei handelt es sich also um Sorten, die heutzutage weder angebaut noch verkauft werden und die sich durch einen kräftigeren und wesentlich herberen Geschmack auszeichnen. Eine Analyse dieser alten Kohlsorten zeigt, dass der kräftige und bittere Geschmack sie deutlich gesünder macht, da sich die gesundheitsfördernden Stoffe sozusagen in eben jenem bitteren und herben Geschmack befinden.
Die Forscher untersuchten ebenfalls, wie sehr sich die alten Gemüsesorten auf den Menschen auswirken. Einer Gruppe von Nordjütländern, die alle unter Altersdiabetes litten, wurde der tägliche Verzehr von 500 g Kohl und Wurzelgemüsen der alten, bitteren Sorten verordnet. Gleichzeitig erhielt eine Kontrollgruppe ihr übliches Essen und eine weitere Gruppe aß täglich 500 g gewöhnliches Gemüse. Die Wirkung des Verzehrs von alten, bitteren Sorten überraschte den Forscher und Leiter der Studie, Per Bendix Jeppesen. Das Ergebnis wies eine markante Senkung des Cholesterinspiegels, Gewichtsabnahme, niedrigere Blutfettwerte sowie eine deutlich verbesserte Insulinsensitivität auf. Die Werte einiger der Teilnehmer lagen nach dem 12-wöchigen Verlauf fast auf Normalniveau, sodass ihnen in Wirklichkeit kein Altersdiabetes mehr diagnostiziert werden konnte. Der Gesundheitszustand der Personen, die die alten, bitteren Sorten erhalten hatten, hatte sich im Vergleich zu den Vergleichsgruppen stark verbessert. Daraus lässt sich schließen, dass die alten Kohlsorten eindeutig mehr Power besaßen, um den Körper gesund und fit zu halten. Zwar gibt es diese alten Sorten nicht zu kaufen, doch auf dem Hof Knivhold Hovedgaard in Nordjütland hat man – angeregt durch diesen Versuch – ein Projekt in Gang gesetzt, bei dem alte Gemüsesorten, hierunter Kohl, mit der Absicht angebaut wurden, sie auch wieder auf den Markt zu bringen.
Mehr zu dem Versuch finden Sie auf Dänisch unter Maxweg Undervisning.