Barbara Maier

Autorin

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Hier spricht der Wolf

Zum Abschuss freigegeben
22. März 2019

Der Wolf ist wieder da. Der Wolf polarisiert. Ein Wolf wurde in Schleswig-Holstein zum Abschuss freigegeben. Sein Name: GW924m. Unsere Autorin Barbara Maier lässt ihn zu Wort kommen.

Darf ich mich vorstellen, mein Name ist GW924m. Manche nennen mich auch Problemwolf. Mal ganz ehrlich, was wollen oder können Sie von einem erwarten, der mit Namen GW924m heißt? Daraus kann doch nur ein Problem werden, oder? Ich würde unter diesem „Namen“ bestenfalls ein Fließbandprodukt aus der Fabrik erwarten, aber einen Wolf so zu nennen? Muss das sein?

Schlau wie ein Fuchs

Für verschiedene Schafzüchter und auch einige andere Menschen bin ich erst zu einem Problem geworden, nachdem ich mehrere Male Weidezäune übersprungen und ein paar kleine Schafe erbeutet habe. Ja, ich gebe zu: Zweimal denselben Schafzüchter zu schädigen war keine gute Idee. Einmal hätte er mir vielleicht noch verziehen. Gut, es waren auch mehr als zwei Schafe und ein Züchter, die unter mir zu leiden hatten. Aber hey, wie genial war das denn? Ich habe mich nicht von über einen Meter hohen Schutzzäunen von den Schafen abhalten lassen – nein, ich habe die Zäune einfach übersprungen! Das habe ich mir, bevor ich nach Norddeutschland gewandert bin, als Jungtier in Dänemark einem Herdenhund abgeguckt.

Normalerweise versuchen wir Wölfe uns an irgendeiner nachlässig aufgebauten Stelle des Zaunes hindurchzuzwängen und wenn das nicht funktioniert, graben wir uns unter dem Zaun durch. Aber Graben kostet Energie und Zeit. Beides Dinge, die ich lieber darauf verwende, mich einer jungen Wolfsfähe zu nähern, die sich seit längerem westlich des Segeberger Forstes aufhält, was bedeutet, dass unsere Streifgebiete nah beieinander liegen. Und dann, wenn ich mir meine Zukunft sehr optimistisch ausmale, würde ich unseren Welpen auch das über Zäune Springen beibringen wollen. So, dass auch sie Zeit und Energie für die schönen Dinge des Lebens hätten.

Ihr Menschen macht es doch genauso. Oder geht einer von euch los zum Schlachter und kauft sich ein ganzes Schwein, um es dann in mühevoller Arbeit zu zerteilen? Nein, natürlich nicht. Ihr geht auch lieber den einfacheren Weg und erwerbt das Fleisch zurechtgeschnitten in Scheiben oder maximal in Stücken, die in euren Ofen passen. Warum soll ich mir die Lunge aus dem Leib hecheln und Rehe oder kleine Wildschweine jagen, wenn auch ich es mir einfacher machen kann? Gleiches Recht für alle!

Ihr Menschen macht es doch genauso. Oder geht einer von euch los zum Schlachter und kauft sich ein ganzes Schwein, um es dann in mühevoller Arbeit zu zerteilen? Nein, natürlich nicht. Ihr geht auch lieber den einfacheren Weg und erwerbt das Fleisch zurechtgeschnitten in Scheiben oder maximal in Stücken, die in euren Ofen passen. Warum soll ich mir die Lunge aus dem Leib hecheln und Rehe oder kleine Wildschweine jagen, wenn auch ich es mir einfacher machen kann? Gleiches Recht für alle!

„Entnahme“

Als allein umherziehender Jungrüde bin ich noch nicht an ein Territorium gebunden und kann so das relativ sorglose Leben eines Junggesellen führen. Der Nachteil daran ist, dass ich bei euch Menschen dadurch ein Kriterium mehr erfülle, um zur „Entnahme“ frei gegeben worden zu sein. ENTNAHME, was für ein positiv anmutendes Synonym dafür, mich erschießen zu wollen.

Laut §44 Abs. 1 Nr. 1 des Bundesnaturschutzgesetzes ist es grundsätzlich verboten, wildlebende Tiere einer besonders geschützten Art – dazu gehört meine Spezies – zu töten. Nach § 45 Abs. 7 Bundesnaturschutzgesetz können hiervon jedoch im Einzelfall Ausnahmen gemacht werden, wenn eben bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind.

Ich bin, um es mit euren Worten zu sagen, „ein genau definiertes Einzeltier ohne Funktion in einem Rudel“. Da die mitteleuropäische Population sowie die norddeutsche Teilpopulation der Wölfe wachsen, ist in meinem Fall eine Ausnahmeregelung gegeben, da ich mich, so vermutet ihr, noch im Raum Pinneberg aufhalte. Wo genau werde ich natürlich nicht verraten. Schließlich geht es für mich um Leben und Tod.

Da ich bis jetzt nicht gefunden und erschossen worden bin, wurde die Frist meiner „Entnahme“ um weitere vier Wochen, also bis Ende März verlängert. Nun sind die Bemühungen, mich zu finden verstärkt worden und ich muss verdammt gut aufpassen, nicht erwischt zu werden.#

Geht´s nicht anders?

Einige Eurer Artgenossen diskutieren darüber, ob man mich denn nicht „vergrämen“ könne? Ich denke, das ist eine ziemlich unrealistische Idee. Dafür müssten viele Nächte lang an jeder Schafskoppel, die an mein Streifgebiet grenzt, erfahrene Jäger mit Spezialmunition stehen und warten, und warten, und warten… Zudem müssten diese mich quasi im Sprung über den Zaun erwischen, damit das schmerzhafte Geschoss dann auch eine abschreckende Wirkung in Bezug auf Zäune auf mich hat. Außerdem kann der Schuss ebenso nach hinten losgehen. Da ich mich für ziemlich intelligent halte, besteht durchaus die Möglichkeit, dass ich von den auf mich wartenden Jägern rechtzeitig Witterung aufnehme, um diese dann geschickt zu umgehen.

Auch kann man mich nicht einfangen und umsiedeln. Erst einmal würde mich einzufangen euch vor eine große Herausforderung stellen. Denn zuerst müsstet ihr mich mit einem gezielten Schuss aus einem Betäubungsgewehr treffen, womit wir wieder beim vorherigen Punkt wären. Doch selbst wenn ich einen schlechten Tag haben sollte und ihr sehr viel Glück, könntet ihr mich nicht einfach in einem für Wölfe geeigneten Gebiet aussetzen. Die dort residierenden Artgenossen würden mich als Eindringling in ihr Revier schnell abdrängen oder sogar töten. Gleichwohl kann man mich nicht in einem Tierpark unterbringen, denn dort würde ich, da ich bisher in Freiheit gelebt habe, nicht nur todunglücklich sein, sondern überdies immer wieder versuchen auszubrechen und mir dabei vermutlich schwerste Verletzungen zuziehen. Letztendlich würde ich dort als Verhaltenskrüppel enden, soviel ist sicher.

Auf dem Vormarsch

Ich halte mich ganz und gar nicht für problematisch. Als problematisch würde ich den Umgang von euch Menschen mit der Natur bezeichnen. Ihr habt uns Wölfe vor 150 Jahren ausgerottet. Und ihr habt euch unseren Lebensraum angeeignet, um daraus Wiesen und Felder für eure Landwirtschaft zu machen.

Dann endlich, nach so vielen Jahrzehnten, haben es einige von uns gewagt aus Polen abzuwandern und sich im Jahre 2000 auf einem Truppenübungsplatz in der Lausitz anzusiedeln. Von dort haben wir uns dann ganz langsam Richtung Westen vorgearbeitet. Erst im Jahre 2007 wurde der erste Wolf in Schleswig-Holstein gefunden – überfahren auf der B76 im Kreis Ostholstein bei Eutin. Soll denn nun alles wieder von vorne losgehen?

Inzwischen halten sich außer mir wohl drei weitere Kollegen regelmäßig in Schleswig-Holstein auf. Diese sollen sich jedoch völlig natürlich verhalten und Schafe, die hinter vernünftig gebauten Weideschutzzäunen leben, in Ruhe lassen. Meine hier lebenden Artgenossen ernähren sich artgerecht, wie ihr sagt, von alten, kranken oder jungen Rehen und Hirschen, sowie jungen Wildschweinen. Ich beginne mich zu fragen, ob über Zäune zu springen wirklich eine gute Idee von mir war. Es wäre wohl doch klüger, wenn ich beginnen würde, mich wieder an Rehen und anderen Waldtieren gütlich zu tun, um zu überleben.

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