Jens Mecklenburg

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Herbstliche Glücksmomente an der Nordsee

19. Oktober 2024

Spaziergänge am menschenleeren Strand oder durchgepustet von einem Tag am Meer in die gemütliche Ferienunterkunft zurückzukehren. Das ist Urlaub, das bereitet Freude. Oder Zuschauen, wenn die Vögel am Himmel tanzen. Orte, die zum Loslassen vom Alltag einladen. Solche Orte und Momente lassen sich im Herbst gut an der Nordseeküste finden.

 © Kirchspielkrug Westerhever

Am Strand und am Meer

Weit, wild und wunderbar – das sind Westerhever Glücksmomente: „Eine besonders schöne Runde ist für mich der Gang zum Westerheversand mit einem Abstecher zum Leuchtturm“, berichtet Rainer Schulz von der Schutzstation Wattenmeer, „komme ich über den Deich, beruhigt sich mein Puls. Mit Blick auf die Weite von St. Peter-Ording im Süden bis zu den Halligen und der Insel Pellworm im Norden schalte ich innerlich immer etwas zurück und atme durch.“ Auf der Sandbank habe man diese Weite gefühlt oft für sich allein, so seine Erfahrung, über sich nur der gewaltige Himmel und zum Watt hin einige Vogelschwärme. „Für den Rückweg ist der Leuchtturm der Wegweiser. Von ihm geht es über den historischen Stockenstieg zurück zum Deich. Bei ruhigem Wetter liegt ein honigschwerer Duft in der Luft – er stammt von kniehoch blühenden Strandastern, die den schmalen Klinkerweg säumen. Ein Spaziergang für alle Sinne – so richtig zum Auftanken!“

Geht man vom Deichübergang vor dem Parkplatz Westerhever etwa 500 Meter auf der Teerstraße durch die Salzwiese hinaus, kann man entweder nach links auf die Betonstraße zum Turm abbiegen oder weiter über die dann rot geklinkerte Straße seewärts bis zum Beginn von Watt und Sandbank. Von dort führt eine Pfahlreihe bis zur früheren Rettungsbake, einem etwa fünf Meter hohen Holzgestell weit draußen vor der Wasserkante. „Die Bake kann zwar nicht mehr bestiegen werden, sie steht aber als Orientierungspunkt weiterhin dort“, erklärt Rainer Schulz, „will man von der Sandbank zurück, kann man sich entweder an Bake und Pfahlreihe halten oder man peilt den Leuchtturm an, vor dem ein zweiter Pfad vom Watt zur Betonstraße führt.“ Die Wegeführungen sind auch auf Karten im Infopavillon zwischen Parkplatz und Deich dargestellt. Der historische Klinkerweg ist bis Anfang Oktober geöffnet. Über Herbst und Winter ist er geschlossen, um Störungen rastender Gänse zu vermeiden.

Wer sich mit den örtlichen Gegebenheiten – und ganz wichtig: den Gezeiten, auf Ebbe und Flut achten! – nicht auskennt, der ist auf den Führungen des Freiwilligen-Teams der Schutzstation Wattenmeer sorgenfrei unterwegs und bestens aufgehoben: Zum Beispiel bei der zweistündigen Wattwanderung „Das Watt lebt!“ geht es vom Leuchtturm auf die vorgelagerten Wattflächen und zu einem kleinen Priel hinaus. Die 3,5-stündige „Wattwanderung bis zur Sandbank“ führt bis auf die Sandbank und an das seeseitige Watt. Um das besondere Pflanzenleben im Nationalpark geht es bei der Salzwiesenführung. Besonders stimmungsvoll ist die Wanderung „Abend am Meer“, die vom Deich zum Turm hinaus führt.  

www.schutzstation-wattenmeer.de

© TASH

Auf Vogelkiek

Es ist die Zeit des Abschieds, in der Gewissheit einer Wiederkehr. Vögel auf ihrem Zug ins Winterquartier treffen sich zu zigtausenden, zu hunderttausenden. Auf Föhr zum Beispiel, riesige Gänseschwärme versammeln sich in der Marsch im Norden der Insel. www.foehr.de

Welch ein Glück, den Seeadler zu beobachten, wenn er auf der Jagd in den Gänseschwarm stößt. Hat der Adler Glück? Für den stillen Beobachter ist es vor allem das Ergebnis großer Geduld. Mitunter lässt sich manchem Glücksmoment auch auf die Sprünge helfen: Vogelkundliche Ausflüge und begleitete Touren führen den Gast, hier wie auch anderswo an der Westküste, zum Naturschauspiel Vogelzug. Manche Vögel sammeln sich an der Küste, um sich satt zu fressen für den langen Weg in den Süden, andere – wie zum Beispiel die putzige Schneeammer aus der arktischen Tundra – sind gekommen, um hier zu überwintern. Es ist nicht nur schauen: Wer kennt den seltsam melodisch-melancholischen Ruf des Brachvogels? Wer hat schon mal das Gefühl gehabt, einen anfliegenden Gänseschwarm nicht nur sehen – sondern das Sirren ihrer Schwingen zu hören, gar meinen, dies zu spüren? So, wie letztens kurz vor Norddorf auf Amrum. Aber es sind vor allem die Bilder, die beeindrucken: Die der Goldregenpfeifer zum Beispiel, die auch im Rickelsbüller Koog rasten, und wenn sie zu vielen am Boden sitzen oder in der späten, tiefstehenden Sonne, auffliegen und dann wie Gold glänzen; flirrend und flatterhaft, schimmernd, magisch ist das. Im Rickelsbüller Koog rasten auch sehr viele Kiebitze.  Und natürlich das klassische Himmelsballett: Knutts und Alpenstrandläufer können das beispielsweise, aber die Stars am Herbsthimmel sind die Stare: Bekannt dafür ist das Grenzgebiet Nordfriesland / Dänemark – es ist irre und phantastisch, unglaublich und mit Gänsehautgefühl. Information, zum Beispiel: Naturkundemuseum Niebüll  www.nkm-niebuell.de Vor der untergehenden Sonne fliegen bis zu hunderttausende Stare ein, gemeinsam und synchron beginnen sie mit abrupten Manövern auf und ab zu fliegen, vor und zurück, ziehen sich zusammen und stieben auseinander. Wie ein einziges, riesiges Wesen, wie eine Traumgestalt. Düster auch, aber voller Poesie, jenseits des Begreifbaren. Und plötzlich, wie von Zauberhand, sind sie verschwunden. Wie ein irrer Traum.

Information Nordfriesland von der dänischen Grenze bis zur Husumer Bucht inklusive Nordstrand und Pellworm: www.nordsee-nordfriesland.de

© Oliver Franke

Im Rausch der Farben

Nordfriesland war einst ein amphibisches Land, beeinflusst von Ebbe und Flut bis weit ins Hinterland, dem Rhythmus der Gezeiten unterworfen. Seen und Siele, ein einziges Labyrinth von Wasser und Land, noch heute weisen Hof- und Ortsnamen wie zum Beispiel Carstenshallig oder Ockholm darauf hin. Zu Zeiten des Expressionisten Emil Nolde wurde dieses Land „urbar“ gemacht, zunehmend eingedeicht und entwässert. Der Maler lebte mit seiner Frau Ada auf Seebüll, selbst eine Warft und jetzt in einem Meer aus Gras, aus Weiden und Wiesen, in seinen Werken findet sich dieses Urweltliche, die Faszination dieser Landschaft wieder, sie hat den Maler zeitlebens und zutiefst inspiriert. Es sind Bilder voller Mystik und Magie, farbstark und faszinierend. Wer mit dem Fahrrad unterwegs ist in Nordfriesland, in der Wiedingharde, wird das Land Emil Noldes intensiv erleben: Schilf zischt in den Böen und wispert im Wind, Bauernhäuser mit leuchtend rotem Backstein vor drohend-düsteren Wolken, Blumenpracht in satten und verschwenderischen Farben wie ein letztes Aufbäumen vor der langen Dunkelheit, der Himmel in Flammen und das Schaurig-Schöne des Herbstes schon, man ahnt das Kommende und erfreut sich am Jetzigen, üppig hier und unwirtlich dort, Apfelkuchen und Erntedank. Die Faszination dieser Landschaft, ihrer Formen und Farben, ist seltsam wie eigentümlich. Die Stimmung ist bisweilen ergreifend, Emil Nolde hat das auf seinen Bildern und Gemälden einfühlsam festgehalten. Und es sind Momente des Glücks inmitten dieser Natur unterwegs zu sein, durchzuatmen, den Kopf freizukriegen, zu sehen und seine Vorstellungskraft spielen zu lassen. Loszufahren und aufzubrechen auch zu einer Reise in die Welt der Phantasie. Es ist ein sich Treibenlassen in der Gewissheit eines angenehmen Ankommens. Zum Beispiel auf Seebüll, dem Nolde-Museum mit seinem schönen Garten. Bis in den Herbst steht dieser Garten in Blüte; Sonnenblumen im September zum Beispiel und die Dahlien im Oktober, letztere in zig verschiedenen, und auch historischen, Sorten. Was für Farben. Und wie schön, dies zu sehen, genießen, zu erleben. Mit allen Sinnen, denn die sind jetzt zum Glück wieder geschärft. www.nolde-stiftung.de              

Im Wald, auf der Heide

Vom Watt in den Wald ist es in Dithmarschen meist kein langer Weg. Auch das macht die Westküste vielfältig und kontraststark. Es gibt hier Kleinode wie zum Beispiel das Gieselau-Tal, gelegen nahe Albersdorf – ein schöner Ort zum Sein und Übernachten – und unmittelbar am (für einen ausgiebigen Besuch sehr empfehlenswerten) Steinzeitpark Dithmarschen. Das Tal des Baches Gieselau ist ein uriger, ein ursprünglicher Ort: Abtauende Gletscher haben es vor 100.000 Jahren ausgeräumt und geblieben sind Auen mit verwunschenen Erlen-Bruchwäldern und Feuchtwiesen, auf den sanften Hügelrücken steht lichter Buchenwald. Vielfältig sind Tier- und Pflanzenwelt, wichtig und wertvoll für Flora, Fauna und als Habitat. Deshalb ist das Gieselau-Tal nicht nur faszinierend, sondern auch FFH-Gebiet: sieben Kilometer lang, fast hundert Hektar groß.  Informationen zu Ausflugs- und Wandermöglichkeiten in Dithmarschen: www.echt-dithmarschen.de
Ein für die Küste typischer Lebensraum ist die Heide – oft seltsam melancholisch und ausgeräumt wirkende Landschaften, leer nur auf den ersten Blick und voller Leben, Heimstatt manch Sonderbarem und sehr Seltenem, auf den zweiten. Ergreifend schön, wenn die Heide blüht und bisweilen spektakulär, wenn die Heide nah an der Nordsee liegt. Wie auf Amrum zum Beispiel oder Sylt. Gerade im Osten von Sylt treffen sich Heide und Meer unmittelbar. Hier, im Naturschutzgebiet Morsum Kliff, ist die Insel an drei Seiten vom Meer umgeben. Am Abend, wenn die Sonne tief steht und der Landschaft Kontur verlieht, die Farben leuchten lässt, ist es auf der Heide besonders schön. Man blickt über die Heide mit ihren warmen Tönen, riecht das würzig-erdige, schaut auf die tiefblaue Nordsee mit ihren kalten Tönen und dem kühlen, köstlichen Duft nach Meer, so, wie sie das Watt langsam überflutet. Man riecht in dieser nordisch-herben Landschaft Heide Sandstaub und Rosen, sieht Vogelbeeren saftig-satt und knall-rotorange, den Strandhafer wie altes Messing. Ein kitschig und fetter Mond schiebt sich über das Land, im letzten Licht glüht das Morsum Kliff, ocker und erdig. www.naturschutz-sylt.de

© TASH
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