Jens Mecklenburg

Herausgeber & Autor

Zum Portrait

EM-Geflüster: Während Briten über Gelsenkirchen als „Drecksloch“ lästern stirbt auf der Insel die Pub-Kultur weiter aus.

17. Juni 2024
© IMAGO / RHR

Ein britischer TV-Reporter hat bei der Fußball-Europameisterschaft mit seinen wenig schmeichelhaften Eindrücken aus dem Spielort Gelsenkirchen für Aufsehen in den sozialen Netzwerken gesorgt. Der Sky-Journalist Kaveh Solhekol ist wegen des EM-Spiels der Engländer gegen Serbien in der Stadt und sagte bei einer Schalte vor der Arena des FC Schalke 04: «Ich muss ein bisschen vorsichtig sein, was ich sage. Weil ich nicht die netten Menschen aus Gelsenkirchen beleidigen möchte.»

Der Reporter war zuvor aus München angereist, «was eine unglaubliche Stadt ist», wie er sagte. «Aber Gelsenkirchen ist ein ziemlicher Kontrast. Denn jetzt sind wir im industriellen Herz Deutschlands, wo Stahlwerke und Kohleminen alle nicht mehr da sind. Und es ist nicht wirklich viel übrig geblieben in Gelsenkirchen.»

Natürlich sei die Stadt berühmt für ihr Fußball-Stadion und den Club Schalke, der darin spiele. «Aber abgesehen davon gibt es hier wirklich nicht viel, was man tun kann.» Englischen Fans gab Solhekol ausdrücklich den Rat, genug Bargeld nach Gelsenkirchen mitzunehmen. Er selbst habe in einem Restaurant gegessen, das keine internationalen Kreditkarten akzeptiert habe. In London und vielen anderen britischen Städten wird dagegen kaum noch mit Bargeld bezahlt.

Millionenfach aufgerufen wurde auch ein Video des Vloggers Paul Brown, der Gelsenkirchen als «absolutes Drecksloch» bezeichnete und sich fragte, wo denn nur die ganzen englischen Fans abgeblieben seien. Seine Kritik wurde auf X vielfach kommentiert und pariert, so mit dem Hinweis «Sieht wie in England aus, oder?» 

Browns Stimmung besserte sich allerdings, nachdem er von der Straßenbahn aus einen «Schalke Pub» gesichtet hatte, der mit englischen Fahnen beflaggt war. Nach einem kurzen Abstecher ins nahe Düsseldorf veröffentlichte er spät abends noch ein Video von feiernden und singenden englischen Fans: «Hab den Pub mit den englischen Fans in Gelsenkirchen gefunden», meldete er. Und dazu auch noch ohne Sperrstunde! Schließlich Frühstück im Hotel am Sonntagmorgen: Brown kostete Röstzwiebel-Leberwurst und Weißwein, und dies zu seiner vollsten Zufriedenheit: «Ich bin glücklich jetzt. Ich nehme alles zurück – Deutschland hat wunderbares Frühstück.» Manche Orte erschließen sich eben erst auf den zweiten Blick.

Dutzende Pubs schließen jeden Monat in Großbritannien

Das Pub-Sterben in Großbritannien setzt sich fort. Im ersten Quartal hätten 239 Kneipen dichtgemacht, teilte der Immobilienberater Altus Group am Montag unter Berufung auf Regierungsangaben mit. Das sei rund ein Drittel mehr als im Vorjahreszeitraum. Gründe seien die hohen Kosten für Energie und Lebensmittel sowie gesunkene Ausgaben der Verbraucher, die weniger Geld in der Tasche haben, sowie eine erhebliche Steuerlast für das Gaststättengewerbe.

Jeden Monat gaben ungefähr 80 Pubs auf, im ersten Quartal 2023 waren es noch etwa 50. Die Zahl der traditionellen Kneipen in England und Wales sank laut Altus von 39 401 zum Jahresende 2023 auf jetzt 39 162. Am stärksten betroffen war demnach Nordwestengland. 

Zuletzt hatten Branchenvertreter und Brauereien die Politik mit Blick auf die Parlamentswahl am 4. Juli aufgefordert, die Biersteuer umgehend und deutlich zu senken sowie die Gewerbesteuer zu reformieren.

Altus-Experte Alex Probyn sagte, die Gewerbesteuer sei in den vergangenen 14 Jahren unter der konservativen Regierung um 49 Prozent gestiegen. Über alle Branchen würden Unternehmen nun 9,48 Milliarden Pfund (11,2 Mrd. Euro) mehr pro Jahr bezahlen als noch 2010. 

Das Pub-Sterben in Großbritannien hatte bereits lange vor der Pandemie begonnen. Gründe sind unter anderem das Rauchverbot, günstiger Alkohol im Supermarkt oder auch verändertes Trinkverhalten. Corona und die Inflation verschärften den Trend. Große Ketten wie Marktführer Wetherspoons sind ebenso betroffen wie kleinere Kneipen.