Dem Himmel so nah

Aussichtspunkt Metalhenge hat sich zum Besuchermagneten entwickelt
3. Mai 2022

Ein Beitrag von Janet Binder

Wer auf der Autobahn 27 in Höhe der Universität Bremen unterwegs ist, dem springen die rostigen Stelen sofort ins Auge: Stehen sie doch auf einem knapp 40 Meter hohen Berg; genauer gesagt auf einem stillgelegten Teil der Blocklanddeponie. Die 25 bis zu vier Meter hohen Stelen sind kreisförmig nach astronomischen Himmelsobjekten angeordnet – als Betrachterin muss man unwillkürlich an das berühmte Bauwerk Stonehenge in England denken. Und das ist natürlich so gewollt. 

Metalhenge heißt die Kunstinstallation, die der Künstler Thomas Roth aus verformten Hafenspundbohlen erschaffen hat und die im Juli 2021 eröffnet wurde. Das Monument hat sich seitdem zu einer der beliebtesten touristischen Attraktionen in Bremen entwickelt. „Wir haben seit neuestem einen Besucherzähler, im März zählte er 5200“, sagt Dieter Vornholz, ehemaliger Leiter des Olbers-Planetariums Bremen, der an der Umsetzung des Projekts maßgeblich beteiligt war. Mindestens 60.000 Besucher werden für das Jahr 2022 erwartet. 

„Planetenweg“ führt zum Monument

Kunst auf einem Müllberg? Für den Künstler Thomas Roth ist das nur folgerichtig. „Müll ist eine Kulturleistung“, sagt der 58-Jährige. „Unsere gesamte moderne Kultur läuft darauf hinaus, dass wir Abfall produzieren, der nicht als Dünger verwertet werden kann. Aber nur, wenn wir nicht mehr achtlos am Müll vorbeischauen, sondern uns mit ihm auseinandersetzen, können wir neue Ideen entwickeln, was wir alles noch mit ihm anfangen können.“ Tatsächlich ist vom Müll auf dem Berg nichts mehr zu sehen: Durch eine Rasenfläche führt der barrierefreie „Planetenweg“ zum Aussichtspunkt, flankiert von Sitzbänken. Auf einzelnen Bodensteinen sind die Zeichen für Mars, Venus, Erde und Merkur eingraviert. 

Das Bremer Monument Metalhenge ist an Stonehenge in England angelehnt. © WFB/Jens Lehmkühler

Die Idee zum Projekt kam Thomas Roth, als er vor 17 Jahren seinen Sperrmüll zur Deponie brachte. „Da war dieser Teil des Müllbergs noch nicht stillgelegt“, erzählt er. Er fragte spontan die Mitarbeitenden, ob er dorthin dürfe. Ihn interessierte, wie es da oben aussah. Tatsächlich fuhr ihn der damalige Deponieleiter mit dem Auto auf den Gipfel. „Ich habe dort eine Magie gespürt“, sagt Thomas Roth rückblickend. „Auf der einen Seite das Blockland mit seiner Natur, die für unsere Herkunft steht, auf der anderen Seite die Stadt mit unserer kulturellen Gegenwart als Gegenentwurf. Diesen Gegensatz auf einen Blick vor sich zu haben, fand ich unglaublich frappierend.“ 

Besonderer Ort: Unter ständiger Kontrolle und doch rätselhaft

Sein Vorschlag, auf dem Müllberg ein Kunstwerk zu installieren, stieß beim damaligen Deponieleiter auf offene Ohren. Schließlich sollte die Erhebung nach seiner Stilllegung renaturiert und für die Öffentlichkeit zugänglich gemacht werden. Ein Werk in Anlehnung an Stonehenge bot sich für Thomas Roth an: „Ich wollte kennzeichnen, dass das hier ein besonderer Ort ist. Und Stonehenge als weltweit bekanntester Steinkreis ist sehr gut untersucht – und trotzdem rätselhaft. Darin sehe ich eine Parallele zum Müllberg: Er wird ständig kontrolliert und untersucht, aber es passieren in ihm naturwissenschaftliche Prozesse, die rätselhaft bleiben.“

Die Stelen sollten nicht einfach nur im Kreis angeordnet werden wie Kerzen auf einer Geburtstagstorte. Allein schon wegen der Höhe bot sich ein Bezug zur Astronomie an. An dieser Stelle kam Dieter Vornholz (75) ins Spiel, der von der Idee eines Monuments in Anlehnung an das archäoastronomische Stonehenge begeistert war. „Ich war schon zweimal dort und würde sofort noch einmal hinfahren“, schwärmt er. 

Audioguide informiert die Besucher und Besucherinnen

Vornholz berechnete nach astronomischen Vorgaben die Positionen der Stelen auf dem Bremer Berg. Und so kennzeichnen die Stelen nicht nur Norden, Süden, Osten und Westen. Auch Himmelbewegungen werden nachvollziehbar: Von der Kreismitte können Besucherinnen und Besucher mit Hilfe von Löchern in den Stelen den Verlauf von Gestirnen am Himmel verfolgen. Auf dem Boden im Kreisinneren sind zudem Steine eingelassen, die für weitentfernte Regionen stehen: einer etwa für den Südpol. „Wenn man von der Kreismitte auf den Stein schaut, hat man die Perspektive durch das Erdinnere Richtung Südpol“, sagt Vornholz. 

Etwas abseits des Kreises steht eine einzelne Stele. „Das ist die Sirius-Stele, für den hellsten Stern, den wir am Himmel haben“, sagt Vornholz. Ein Audioguide auf der Homepage ermöglicht es Besucherinnen und Besucher, alle astronomischen Hintergründe zu verstehen. 

Gute Aussichten: Auf der einen Seite die Stadt, auf der anderen Seite die Wiesen des Blocklands. 
© WFB/Jens Lehmkühler

Wintersonnenwende lockte mehr als hundert Menschen an

Das Kunstwerk auf Bremens höchster künstlicher Erhebung kann jeden Tag rund um die Uhr besichtigt werden. Doch einmal im Jahr ist ein besonderes Schauspiel zu erleben: Am 21. Juni geht die Sonne zwischen zwei Spundbohlen im Nordwesten unter. Zur Sommersonnenwende werden daher viele Besucherinnen und Besucher erwartet. „Es wird sicher voll werden“, sagt Roth. Zur Wintersonnenwende jedenfalls kamen bereits über hundert Menschen. „Und da war es bitterkalt.“ Immerhin aber herrschten die besten Bedingungen, um den Sonnenuntergang zwischen zwei Stelen beobachten zu können: „Wir hatten den klarsten Himmel, den man sich vorstellen kann. Als die Sonne im Horizont versank, habe ich einen regelrechten Schauer bekommen“, erinnert sich Roth. 

Einem Fotografen sei an dem Tag sogar gelungen, einen sogenannten grünen Strahl am Himmel festzuhalten. Bei einem solchen Farbphänomen blitzt am oberen Rand der untergehenden Sonne für einen Sekundenbruchteil ein grüner Lichtschein auf. „Den grünen Strahl sieht man extrem selten“, sagt Vornholz. Der Physiker ist sich sicher, dass das längst nicht das letzte interessante Phänomen war, das von Metalhenge aus zu beobachten sein wird. 

Dieter Vornholz, ehemaliger Leiter des Olbers-Planetariums, und der Künstler Thomas Roth stehen im Stelenfeld © WFB/Lehmkühler