Der Schmähpreis für Verbrauchertäuschung „Goldener Windbeutel“, jährlich von Foodwatch verliehen, bekam in diesem Jahr überraschend der Bio-Pionier Zwergenwiese aus Silberstedt in Schleswig-Holstein für seine zuckersüße Kinder-Tomatensauce verliehen.
Kinder-Drogen
Kinder lieben Zucker – aber zu viel davon macht dick und die Zähne kaputt. Der diesjährige „Goldene Windbeutel“ der Verbraucherorganisation Foodwatch für den dreistesten Werbeslogan, geht an die sehr zuckrige Kinder-Tomatensauce von Zwergenwiese. Sie enthält elf Prozent Zucker – und damit mehr als doppelt so viel wie die normale Tomatensauce des Herstellers.
Knapp 70.000 Verbraucherinnen und Verbraucher haben sich Foodwatch zufolge an der Abstimmung beteiligt. Davon wählten 53 Prozent die Tomatensauce mit dem Comiczwerg und den bunten Buchstaben auf dem Etikett als die größte Werbelüge. Mit gut einem Viertel entfielen die zweitmeisten Stimmen auf das angebliche Darmgesundheits-Getränk Yakult. Weniger als zehn Prozent bekamen jeweils der „100% Bio Direktsaft Karotte“ von Hipp, die Wasabi-Erdnüsse von Rewe und der Riegel „Corny Protein Lower Carb“ von Schwartau.
Auf den Prüfstand
Als erster Hersteller überhaupt hat Zwergenwiese den Negativpreis am Dienstag akzeptiert. Geschäftsleiter Jochen Walz nahm die Trophäe von Foodwatch persönlich entgegen und kündigte eine Rezepturänderung an. Alle Kinderprodukte kämen nun „auf den Prüfstand“, erklärte das Unternehmen. Sein Unternehmen arbeite „mit einem dreiköpfigen Entwicklerteam“ daran, den Kriterien der Weltgesundheitsorganisation für gesunde Kinderlebensmittel zu entsprechen, sagte Walz. Foodwatch begrüßte das Engagement.
Warum Zwergenwiese allerdings erst an neuen Rezepturen arbeiten müsse, wenn das Unternehmen längst Tomatensaucen ohne zugesetzten Zucker verkaufe, fragt sich nicht nur Foodwatch. Die Verbraucherorganisation kündigte an, die weiteren Schritte von Zwergenwiese genau zu beobachten.
Die Preisträger
Nach der Windbeutel-Nominierung Anfang November – wir berichteten – hatte Zwergenwiese sich auch gegenüber Nordische Esskultur noch verteidigt: „Dieser Zucker ist kein zugesetzter Kristallzucker. Wir setzen nur acht Prozent Apfeldicksaft ein“, hatte die Firma mitgeteilt, die inzwischen zu Rapunzel Naturkost gehört. Zudem enthielten die Tomaten, Möhren und Zwiebeln von Natur aus Zucker, der aber nicht mit industriellem Zucker vergleichbar sei.
Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) allerdings definiert auch Apfeldicksaft als freien beziehungsweise zugesetzten Zucker und empfiehlt: Nur Tomatensaucen ohne Zuckerzusatz sollten an Kinder beworben werden.
Zwergenwiese hatte außerdem mitgeteilt, weniger Süße sei „durchaus wünschenswert“: „Eine Reduzierung würde auf maximal fünf Prozent Apfeldicksaft möglich sein.“ Trotzdem hatte die Firma auf die „anderen Maßstäbe“ bei der Süßeempfindung der Kinder hingewiesen: Erst bei 8,6 Gramm Zucker pro Liter stelle sich dieses ein. Warum Tomatensaucen – und nicht etwa Schokoriegel – überhaupt süß sein müssen, erklärte die Firma nicht.
Stattdessen schrieb Zwergenwiese im November auch bei Facebook: „Je jünger das Kind, desto süßer sollte das Produkt sein.“ Was Kinderärztepräsident Thomas Fischbach als „ebenso dumm wie gefährlich“ einstufte. „Geschmack wird anerzogen, und es gehört in die Verantwortung von Herstellern wie Eltern, hier die richtigen Weichen zu stellen.“
Kürzlich hatten die deutschen Kinderärzte ein Werbeverbot für Lebensmittel gefordert, die speziell auf Kinder zielen – weil sie zu oft Fettleibigkeit förderten und zu viel Zucker enthielten. 15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland sind laut Statistischem Bundesamt zu dick, 62 Prozent der Männer und fast die Hälfte der Frauen.
Respekt gebührt Zwergenwiese für die persönliche Annahme des Schmähpreises. Sie waren die ersten in der Geschichte des „Windbeutels“.
Dass sie weiter an der Rezeptur arbeiten wollen, sie „entsüßen“, ist ebenfalls anerkennenswert. Aber ob nun Bio-Pionier oder Lebensmittelkonzern: alle verdienen gut mit speziellen Lebensmitteln für Kinder und werden sie daher weiter auf den Markt bringen. Das Grundproblem können nur die Verbraucher und Eltern selbst lösen: Einfach keine „Kinder-Lebensmittel“ kaufen. Sie sind schlicht überflüssig und die Einstiegsdroge für eine Fastfood-Karriere. Drogen für Kinder sollten eigentlich verboten gehören.