
Christine Francisca Elisabeth (kurz: Elise) Peters wurde 1848 als Tochter eines Blutegelhändlers in Boizenburg an der Elbe geboren. Vom Vater wohl erlernte das Mädchen schnell eine faszinierende Geschäftstüchtigkeit. Denn der Herr Papa, Franz Johann Peters, reiste Mitte des vorigen Jahrhunderts mit dem Vierspänner-Fuhrwerk gar abenteuerlich bis zum Ural und bis Odessa am Schwarzen Meer (eine Fahrt über vermutlich 200 Tage und von rund 4000 Kilometern hin & zurück), kaufte unterwegs billig Blutegel auf, transportierte sie in Fässern gen Heimat und bot sie schließlich zu medizinischen Zwecken und sehr gewinnbringend in Horn bei Hamburg auf der Blutegel-Börse im „Alten Schinkenkrug“ an, verkaufte sie bis nach Amerika.
Elise Peters muss dieses kaufmännische Geschick ihres Vaters geerbt haben und so war es vermutlich ihrem Drängen zu verdanken, dass der 7. Oktober 1870 für den in Bergedorf bei Hamburg geborenen Korbmacher-Sohn Ludolph Wilhelm Eduard Bartelmann ein ganz außergewöhnlicher Tag wurde: Nicht nur feierte er an diesem Datum seinen 25. Geburtstag, – er heiratete gleichzeitig Elise Peters und gründete dazu noch einen Handwerksbetrieb. Am Tag danach, also am 8. Oktober 1870, eröffnete Wilhelm Bartelmann dann seine Korbmacher-Werkstatt in Rostock bei der Marienkirche N° 10 in der Stadtmitte. Das Alter von 25 Jahren war nach damaligem Recht der frühestmögliche Zeitpunkt, um einen eigenen Handwerksbetrieb zu führen. Nun war es aber nicht so, dass Wilhelm Bartelmann übertriebener beruflicher Ehrgeiz oder außergewöhnliche Zielstrebigkeit nachgesagt werden konnte, vielmehr war er ein sympathischer Tüftler, dabei aber begabter Handwerker. Nur nicht allzu strebsam. Lieber bastelte er für seine Kinder und Enkel ulkiges Spielzeug wie etwa eine ‚Pfützen-Brücke‘. Seine Frau Elise trieb ihn schließlich zu Erfolg und beruflichem Eifer an. Wilhelm Bartelmann, der in den ersten Jahren seiner Selbstständigkeit wohl hauptsächlich Körbe, Tragegestelle, Stühle und Truhen flocht, pflegte ein rechtes Durcheinander in geschäftlichen Dingen. Elise Bartelmann drängte, als einmal nur ein einzelner Korb und ein einsamer Stuhl im Verkaufsraum standen auf eine kundenfreundliche Präsentation der Waren drängte und verlangte von ihrem Gatten: „Nee, Wilhelm, den Laden voll!“
Sitzgelegenheit für den Strand

Seit der Geschäftseröffnung waren gut 11 Jahre vergangen, als eines Tages, im Frühling 1882, eine vornehme, ältere Dame, die inzwischen in die Lange Straße 73 umgesiedelte Korbmacherei betrat und von Wilhelm Bartelmann, derweilen Hof-Korbmachermeister des Großherzöglichen Hofes zu Rostock, eine Sitzgelegenheit für den Strand „als Schutz gegen Sonne und Wind“ verlangte. Ihr Arzt habe ihr wegen ihres Rheumaleidens zwar vom Aufenthalt am Meer ganz und gar abgeraten, aber sie wolle auf diese Wohltat für Leib und Seele nicht verzichten und brauche also einen gegen die Unbill des Klimas schützenden Stuhl.
Ob die Dame Strandkörbe bereits zuvor auf Norderney oder in den Niederlanden gesehen hatte, – ob sie sich bei ihrem Wunsch von den Bildern eines Jacob Jordaens oder Johann Heinrich Wilhelm Tischbeins anregen ließ, ist nicht überliefert. Auch ihre Herkunft ist ungewiss, vermutlich entstammte sie dem mecklenburgisch-vorpommerschen Landadel. Ihr Name variiert, mal wird sie in der Literatur als Friederike Maltzahn tituliert, dann wieder als Fräulein von Oertzen. Wie auch immer, Wilhelm Bartelmann fertigte für die unbekannte Dame einen Strandkorb aus Weiden und Rohr, anfangs noch ‚Strand-Stuhl‘ (und eben nicht ‚Strandkorb‘) genannt, den ersten – soweit bekannt – an der Ostsee. Vermutlich aber hatte der Rostocker Handwerker das 1871 erschienene Buch „Zeichnungen für Korbmacher und Korbmöbelfabrikanten“ von Ernst Freese im Regal stehen und ließ sich von der dort abgedruckten Zeichnung inspirieren. Bartelmanns ‚Ein-Sitzer‘, der an einen aufrechtstehenden, innen mit festem Markisenstoff bezogenen Wäschekorb erinnerte, erregte bald am nahen Strand von Warnemünde größte Aufmerksamkeit. Die Badekultur wurde nun regelrecht revolutioniert. Mehr Strandkörbe mussten her. Auch andere Badegäste wollten ihren Stuhl am Meer. Wilhelm Bartelmann flocht und flocht und flocht die nächsten Wochen und Monate, ließ sich von einem Tischler Rahmengestelle zimmern, die dem Korb mehr Festigkeit gaben. Und seine Frau war bereits ein Jahr später, 1883 also, als Geschäftsführerin der ersten Strandkorbvermietung an der Ostsee tätig, in Warnemünde.
Ausgehend von Wilhelm Bartelmanns Rostocker Korbmacherei wurde innerhalb der nächsten Jahre und Jahrzehnte die ganze Ostsee mit Strandkörben versorgt, wurde die industrielle Fertigung eingeleitet und entstanden die bedeutendsten Strandkorbfabriken Deutschlands. Sie standen an der Ost- und nicht an der Nordsee.

Wilhelm Bartelmann selbst lehnte es ab, als Fabrikant bezeichnet zu werden. Er verstand sich als Handwerker, versah seine Körbe mehr und mehr mit angenehmen Details wie Markisen, Fußstützen und -brettern, Armlehnen, Seitentischchen und flocht schon bald auch Körbe, in denen zwei Personen nebeneinandersitzen konnten.
Doch das große Geschäft sollten andere machen, die bei ihm in die Lehre gegangen waren. Franz Schaft etwa, der eine Strandkorbfabrik in Kröpelin mit aufbaute, oder vor allem Johann Falck, der dann, in den Zwanzigerjahren, die größte Fabrik in Deutschland besaß.
Moritz Holfelder: Das Buch vom Strandkorb.
Husum Verlag, 2. Auflage 2011, 168 Seiten, zahlreiche Abbildungen, gebunden, Euro 12,95.
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