Barbara Maier

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Welchen Wert hat unsere Nahrung?

Debatte um Özdemir Forderung nach teureren Lebensmitteln
13. Januar 2022
Cem Özdemir © Stephan Röhl / Heinrich-Böll-Stiftung. Lizenz: CC-BY-Sa. 2.0

Niedrige Preise für Lebensmittel und Agrarprodukte sind nach Meinung des neuen Bundeslandwirtschaftsministers Cem Özdemir (Grüne) problematisch. Denn solche „Ramschpreise treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima“, äußerte der Minister vor ein paar Tagen in den Medien. Manchmal habe er das Gefühl, dass uns ein gutes Motoröl wichtiger sei als ein gutes Salatöl. „Lebensmittel dürften zwar kein Luxusgut werden, doch der Preis muss die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken“.

Klimafreundliche Landwirtschaft, bessere Haltungsformen und damit mehr Tierwohl, sowie ein gutes und sicheres Einkommen für die Landwirte. Das sind nach eigener Aussage die Ziele des neuen Bundeswirtschaftsministers. 

Kaum jemand, der mit diesen Zielen nicht konform gehen würde. Die Frage ist nur, wie diese Ziele umsetzbar sind, ohne dass Geringverdiener und Menschen, die staatliche Hilfen benötigen, auf der Strecke bleiben. Denn gerade diese können sich schon jetzt frische und gesunde Lebensmittel kaum leisten. 


Soziale Aspekte beim Essen 

Klaus Müller, Chef der Verbraucherzentrale Bundesverband (VZBV) betonte in einem Gespräch mit der Deutschen Presseagentur, dass es weiterhin mehrere Produktionsstandards geben müsse. Es könne in Zukunft nicht nur billiges und teures Biofleisch geben, denn teures Fleisch würden sich viele Menschen einfach nicht leisten können.

Zum Vergleich: Ein Kilogramm Hackfleisch aus der konventionellen Tierhaltung kostet etwa fünf Euro. Dieselbe Menge biologisch erzeugtes Hackfleisch kostet das Doppelte.

Siebzig Prozent des Lebensmittelmarktes werden von den vier großen Handelskonzernen Aldi, Lidl, Edeka und Rewe beherrscht. Der Druck auf die Landwirte, billig zu produzieren geht vor allem von diesen Konzernen aus. Und genau dies möchte Özdemir verhindern. So sagte er, „Lebensmittel dürfen kein Luxusgut werden, doch der Preis muss die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken.“

Ulrich Schneider, Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbands fordert, dass „Preissteigerungen bei Lebensmitteln zwingend mit einer deutlichen Erhöhung der Regelsätze der Sozialhilfeempfänger einhergehen müssen. Man kann Ökologisches und Soziales nicht trennen. Es geht nur ökosozial, sonst verliert man die Unterstützung der Bevölkerung.“

Das Bundesarbeitsministerium verwies darauf, dass die Preissteigerungen bei Lebensmitteln in die Neuberechnung der Grundsicherungen und Arbeitslosengeld II Bezüge grundsätzlich mit einfließen würden. 

„Für die Berechnung der Hartz-IV-Sätze werden die Ausgaben der unteren 15 Prozent der Einpersonenhaushalte sowie die der unteren 20 Prozent der Mehrpersonenhaushalte herangezogen. Der Satz wird jährlich angepasst.“ 

5,19 Euro pro Tag für Ernährung

Ulrich Schneider wies darauf hin: „Wir haben jetzt schon knapp fünf Prozent Preissteigerungen bei den Lebensmitteln. Vor allem Hartz-IV-Betroffene leiden bereits darunter. Im Regelsatz für einen Single-Haushalt sind ab kommendem Jahr (gemeint ist 2022) knapp 5,19 Euro pro Tag für die Ernährung eingerechnet. Damit ist schon jetzt eine ausgewogene Ernährung nicht möglich. Davon zeugten zwei Millionen regelmäßige Nutzer der Tafeln. Jetzt noch mal einen draufpacken heiße: Die Leute haben keine Chance, sich halbwegs gesund zu ernähren,“ so Schneider weiter.

Um etwaige Preiserhöhungen abzufedern – vor allem für Bezieher von Grundsicherung und Arbeitslosengeld II-Beziehern fordert Ulrich Schneider einen sozialen Ausgleich. „Wir brauchen Regelsätze, mit denen man über den Monat kommt. Und das sind nach unseren Berechnungen etwa 650 Euro im Monat. Der Regelsatz für den ALG II-Bezug beträgt ab dem 1. Januar 2022 jedoch nur 449 Euro.“

Die Tafeln in Deutschland rechnen durch die steigenden Energie- und  Lebensmittelpreise mit einer weiterhin erhöhten Nachfrage in den kommenden Monaten. Der Vorsitzende der Tafel Deutschland, Jochen Brühl, fordert zugleich die Bundesregierung auf, den von Armut betroffenen Menschen kurzfristig mit Sonderzahlungen zu helfen. „Zu einigen Tafeln kommen schon heute mehr Menschen“, sagte Brühl. „Frische Lebensmittel wie Obst und Gemüse sind aktuell besonders beliebt, da sich viele Menschen eine ausgewogene Ernährung schlichtweg nicht leisten können“, so Brühl. „Die weiter steigenden Lebensmittelpreise verschärfen dieses Problem.“

Gut vierzig Tafeln berichteten über deutlich mehr Menschen an den Ausgabestellen. Gerade der Anteil Von Beziehenden von Arbeitslosengeld II, Menschen in Kurzarbeit und Selbständigen habe merklich zugenommen.

Der Vorsitzende des Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND), Olaf Bandt schließt sich grundsätzlich der Meinung Özdemirs an. Er meint: „Ja, wir brauchen eine Debatte über die Lebensmittelpreise. Was wir an der Kasse zahlen, reicht oft nicht, damit am Ende der Kette – Supermärkten, verarbeitende Industrie, Zwischenhandel – ein fairer Preis für die ErzeugerInnen steht. Im Gegenteil; beim täglichen Preisdruck, durch Supersonderangebote verstärkt, zahlen Bäuerinnen und Bauern drauf, wenn sie auf Kosten ihrer eigenen Gesundheit oder ihrer Nutztiere und der Natur Nahrung für uns zu produzieren.“

Olaf Bandt sagt jedoch auch, „Ja, Minister Özdemir stößt eine wichtige und überfällige Debatte an. Es reicht aber nicht, nur die VerbraucherInnen in die Pflicht zu nehmen. Oft verstecken sich Einzelhandel und Industrie hinter angeblich preisverliebten Käuferinnen und Käufer. Alle, die Teil unseres Ernährungssystems sind, müssen sich an einem neuen Preissystem beteiligen. Nur so können Bäuerinnen und Bauern unsere Lebensmittel umwelt- und naturverträglich herstellen. Und wer sich wegen eines geringen Einkommens, das nicht leisten kann, braucht eine ausreichende Sicherung durch den Staat. Gesunde und ökologisch einwandfreie Nahrung ist ein Grundrecht, das die Gemeinschaft im Zweifel ermöglichen muss.“

Die Verbraucherzentralen machen sich für gezielte Steuersenkungen stark. Klaus Müller aus dem Vorstand des Verbraucherzentrale Bundesverbands sagt, „Wir fordern eine Steuersenkung für Obst, Gemüse und Hülsenfrüchte“. Weiter ist er der Meinung, „Dies ist ein guter und gesunder Ausgleich für die Inflation, der auch den Umstieg auf klimafreundliche Produkte erleichtert“. 

Die Debatte über den Wert unserer Lebensmittel steht erst am Anfang. Sie ist zu begrüßen.