Jens Mecklenburg

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Neue Landwirtschaftspolitik: weniger Pestizid-Einsatz, strengere Vorgaben für Fertigprodukte

28. Dezember 2021

Bundesumweltministerin Steffi Lemke drängt darauf, den Einsatz von Pestiziden in der Landwirtschaft erheblich zu reduzieren. „Ich gehe nicht davon aus, dass wir innerhalb von vier Jahren komplett auf Pestizide verzichten können“, sagte die Grünenpolitikerin den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. „Aber wir brauchen eine deutliche Verringerung, wenn wir das Insektensterben aufhalten wollen. Wir dürfen diesen Kampf um einen sehr entscheidenden Teil unseres Ökosystems nicht verlieren.“

Lemke sagte, der Pestizideinsatz könne durch finanzielle Anreize, aber auch durch Ordnungsrecht verringert werden. Sie sei davon überzeugt, dass die meisten Landwirte weniger Pestizide verwenden wollten. Allerdings seien sie „durch die europäische Agrarpolitik über Jahrzehnte in eine Zwangssituation hineingetrieben worden“. Der Betrieb müsse größer werden und mehr Ertrag abwerfen oder er werde von einem anderen aufgekauft.

©Dr Bjoern Rickert

Schluss mit „System der einfachen Flächenprämie“

Nach Angaben des Umweltbundesamts – die Behörde ist Lemkes Ministerium unterstellt – war der Einsatz problematischer Pflanzenschutzmittel wie bienengefährlicher Insektizide oder grundwasserkritischer Herbizide 2020 wieder gestiegen. In den beiden Vorjahren hatte es jeweils einen mutmaßlich durch die Trockenheit verursachten Rückgang gegeben.

Lemke forderte, die ökonomischen Bedingungen für die Landwirtschaft generell zu verändern. „Unter Beteiligung der Vorgängerregierung ist leider eine Fortführung der europäischen Agrarpolitik für die nächsten sieben Jahre beschlossen worden“, sagte sie den Zeitungen. „Wir müssen dringend aussteigen aus diesem System der einfachen Flächenprämie, die ohne ökologische Gegenleistung gezahlt wird.“ Das müsse die Ampel-Regierung in den nächsten vier Jahren vorbereiten. „Nur so werden wir ausreichend gesunde und vielfältige Nahrungsmittel haben.“

Kürzlich hatte auch der Bundesrat zwei Verordnungen zur Gemeinsamen Europäischen Agrarpolitik (GAP) zugestimmt. Mit der GAP-Reform soll die Landwirtschaft in Europa umweltverträglicher und gerechter werden. Die Verordnungen legen verbindliche Umweltauflagen und Anforderungen fest, die eingehalten werden müssen, um Zahlungen aus der GAP zu erhalten. Dabei geht es um rund 42 Milliarden Euro bis 2027. Außerdem werden die Ökoregelungen näher definiert, mit denen die Landwirte freiwillig zusätzliche Maßnahmen zum Umwelt- und Klimaschutz umsetzen können. Grünen und Umweltverbänden gehen die Reformen allerdings nicht weit genug.

Lemke warnte ferner in der Debatte über den Ausbau von erneuerbaren Energien davor, den Klimaschutz über den Artenschutz zu stellen. Es gebe zwei große ökologische Krisen auf dem Planeten, die „gemeinsam gelöst werden müssen: die Klimakrise und die Krise des Artenaussterbens“, sagte die Ministerin. „Das eine ist genauso wichtig wie das andere.“ Beide Krisen bedrohten die natürlichen Lebensgrundlagen in eklatantem Ausmaß. 


„Motoröl den Deutschen wohl wichtiger als ein gutes Salatöl“

Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir wiederum plant strengere Vorgaben für Fertigprodukte. „Deutschland ernährt sich insgesamt zu ungesund“, beklagte der Grünenpolitiker in der Bild am Sonntag. Mehr als 50 Prozent der Erwachsenen seien übergewichtig. „Der Grund dafür sind zu viel Zucker, Fett und Salz, vor allem in Fertigprodukten“, sagte er und kündigte an: Mit freiwilligen Selbstverpflichtungen für die Industrie sei mit ihm „jetzt Schluss“. Mit ihm werde es stattdessen „verbindliche Reduktionsziele geben“.

Dass die Preise für Lebensmittel und Agrarprodukte so niedrig seien, ist auch aus Özdemirs Sicht problematisch. Solche „Ramschpreise treiben Bauernhöfe in den Ruin, verhindern mehr Tierwohl, befördern das Artensterben und belasten das Klima“, sagte der Grünenpolitiker. Das wolle er ändern. Die Menschen in Deutschland sollten ihre Lebensmittel genauso wertschätzten wie ihre Autos. „Manchmal habe ich das Gefühl, ein gutes Motoröl ist uns wichtiger als ein gutes Salatöl“, kritisierte der Minister. Lebensmittel dürften zwar kein Luxusgut werden. „Doch der Preis muss die ökologische Wahrheit stärker ausdrücken“, sagte Özdemir.

Der Agrarminister strebt zudem eine Ausweitung der Fläche ökologisch bestellter Felder bis 2030 von derzeit knapp zehn auf 30 Prozent an und möchte die „Nachfragemacht des Staates nutzen“: Die Verpflegung in öffentlichen Einrichtungen sollten auf mehr regionale und Bioprodukte umgestellt werden. „Der Staat muss da Vorbild sein.“