Kulinarische Geschichte(n) – Der Hamburger Sülze-Aufstand 1919

6. Februar 2024

Ein Beitrag von Uli Foltz

Lebensmittelskandale gab es schon in früheren Zeiten. Unser Autor Uli Foltz stellt den Hamburger Sülze-Aufstand von 1919 vor, als man dem Volk Hunde, Katzen und Ratten servieren wollte. Die erste Folge unserer neuen Serie Kulinarische Geschichte(n).

Als die sogenannten Wirtschaftswunder-Jahre der 1950er und 60er Jahre etwas abgeklungen waren, begannen etliche Menschen, sich die üppig angebotene Lebensmittel-Vielfalt, die man sich damals sorglos und gerne einverleibte, etwas genauer zu betrachten. Und kam dabei so manchen unappetitlichen Machenschaften der Lebensmittelindustrie auf die Schliche. Man denke an „Gammelfleisch“, Olivenöl- und Weinpanschereien. Aber ganz so neu sind Lebensmittelskandale gar nicht.

Hunde, Katzen und Ratten fürs Volk

Eine Plakette am Hamburger Rathaus und ein Wandgemälde von Hildegund Schuster am Gebäude der Hamburger Verbraucherzentrale erinnern an ein Ereignis der Stadt-Historie, das am 23.Juni 1919 seinen Lauf nahm. In der Kleinen Reichenstraße war vor einer ehemaligen Gerberei, die jetzt als Fleischwarenfabrik firmierte, ein Holzfass zerborsten, und zum Vorschein kam verdorbenes Fleisch von Hunden, Katzen und Ratten. Eine aufgebrachte Menschenmenge vermutete, dass mit diesem Unrat in betrügerischer Absicht Sülze produziert werden sollte und stürmte, im so genannten Hamburger Sülze-Aufstand mehrere Fleischwarenfabriken, wo weiteres Unappetitliches gefunden wurde. Nach tagelangen blutigen Auseinandersetzungen, die zusätzlich von den Nachwirkungen der Novemberrevolution angeschürt wurden, schlug die Reichswehr den Aufstand schließlich nieder. Während rund 80 Aufständische ums Leben kamen, verurteilte man den Fabrikbesitzer – nachdem er zuvor nur knapp dem Tod in der Alster entgangen war, in die der „Volkszorn“ ihn gejagt hatte – zu erstaunlich kurzer Haft (drei Monate) und einer eher symbolischen Geldstrafe. Immerhin wurden als Folge dieses Skandals staatliche Hygiene-Institute erstmals ermächtigt, direkt in der Produktion der Fleischfabriken Kontrollen vorzunehmen.

Wandbild von H. Schuster © Uli Foltz privat

Der Autor

Uli Foltz ist pensionierter Kunst- und Werkerzieher und lebt in Kaiserslautern. Aufgewachsen in der Pfalz, der Region von Weck, Wurst und Wein, beschäftigt er sich seit seiner Jugend praktisch und theoretisch mit Esskultur und Gastronomie. Sein jüngstes Projekt: das kulinarische Lexikon auf ulis culinaria.