Ein Beitrag von Ira Scheidig
Im Keller eines Hauses in einer Gasse mitten im Bremer Viertel, eingebettet in eine lebendige Kultur- und Musikszene, liegt der Club Lila Eule. Seit Jahrzehnten ist er eine feste Größe und Treffpunkt des Nachtlebens in der Hansestadt. Hier trat mit den Scorpions die wohl bekannteste deutsche Band weltweit auf, hielt der Studentenführer Rudi Dutschke 1967 eine flammende Rede, waren zahlreiche Größen aus Kultur und Politik zu Gast. Auf 65 Jahre bewegte Geschichte kann die Lila Eule inzwischen zurückblicken. „Wir sind einer der ältesten Live-Musikclubs in Deutschland“, sagt Michael Pietsch, der vor 20 Jahren in der Lila Eula als DJ anfing und ihn vor 15 Jahren übernahm.
Lobende Worte von Klaus Meine
Klaus Meine, Frontmann der Scorpions, lässt es sich nicht nehmen, lobende Worte zum Geburtstag zu finden: „65 Jahre Lila Eule. Wow! Wo ist die Zeit geblieben. Clubs wie die Lila Eule waren in den Anfängen der Scorpions sehr wichtig, und ich erinnere mich immer sehr gerne an die frühen 1970er-Jahre, wenn uns der Weg mal wieder nach Bremen geführt hat. Toll, dass die Clubtradition bei euch über all die Jahrzehnte lebendig geblieben ist. Respekt und Gratulation. Die Lila Eule rockt!“
Ausgezeichnet mit bundesweitem Kulturpreis
Die Bedeutung des Bremer Clubs überzeugte auch Kulturstaatsministerin Claudia Roth. Zum zweiten Mal wurde die Lila Eule 2024 mit dem „Applaus-Award“ ausgezeichnet – 2019 war das erste Mal. Damit zählt die Einrichtung zu den besten kleinen Spielstätten bundesweit. Prämiert werden Livemusikorte und regionale Veranstaltende für ihre qualitativ anspruchsvolle, trendsetzende und kreative Programmkonzeption. „Wir veranstalten ein sehr abwechslungsreiches Musikprogramm, meist abseits kultureller Trampelpfade – der Dank ist die Treue unserer Gäste und Bands. Wenn unsere Arbeit dann überregional mit Preisen gewürdigt wird, motiviert uns das natürlich in schweren Zeiten“, freut sich Michael Pietsch. Nach der Corona-Pandemie und einem geänderten Ausgehverhalten müssen viele Clubs bundesweit um ihre Existenz fürchten.
Anlaufstelle für Jazz und Beatmusik
Aber zurück zu den Anfängen. Am 27. Dezember 1959
startete die neugegründete Lila Eule zunächst in der Bremer Innenstadt. Später
zog es die Betreiber ins Viertel, wo der Club bis heute seine Heimat hat.
Zunächst war der neue Veranstaltungsort eine Anlaufstelle für den damals noch
verpönten Jazz. Es war ein Aufbegehren gegen alte, tradierte Strukturen und
Systeme. Der musikalische Protest fand seine Fortsetzung in der Beatmusik und
in gesellschaftlichen Gegenbewegungen, die sich auch in der Lila Eule zeigten.
Rudi Dutschke hielt eine Rede
Mit Rudi Dutschke trat im November 1967 die Ikone der
Studentenbewegung auf, in der vollen Lila Eule hielt er eine Rede. Die
Kellerräume wurden Treffpunkt vieler politischer Aktionsgruppen. Hier fanden
die Bewegungen von 1968 einen Ausgangspunkt. 1979 wurde in den Räumen die erste
Bremer Grüne Liste zur Landtagswahl gegründet. Bei allen politischen
Veranstaltungen und Themen, die hier diskutiert wurden: Platten wurden immer aufgelegt,
und zahlreiche Bands traten auf. „Bis Mitte, Ende der 1970er-Jahre war der Club
sehr politisch“, erzählt Pietsch. „Nachdem die gesellschaftlichen Normen
gesprengt waren, legte sich der Fokus immer mehr auf die Musik.“ Die Eule – wie
sie meist genannt wird – wurde zur beliebten Adresse bei Punkbands, Folk und
Krautrock.
Das Veranstaltungshaus behielt seinen Einfluss auf die Kultur der Stadt. Es
präge bis heute das liberale Lebensgefühl Bremens mit, ist Pietsch überzeugt.
Wo künstlerische Freiheit toben dürfe, entstehe auch Freiheit in den Köpfen.
Die lange Geschichte des Clubs wurde 2017 in einem Dokumentarfilm festgehalten. Zur
Premiere kamen nicht nur Lila Eule-Mitbegründer Olaf Dinné, sondern auch
allerlei Zeitzeugen.
Bekannte Größen der Musikwelt trafen sich in der Eule
Bei der Größe des Clubs, der etwa 200 Menschen fasst, ist die illustre Liste der aufgetretenen Künstlerinnen und Künstler erstaunlich: ob die erwähnten Scorpions, Chris Barber, Kurtis Blow, Bobby Hebb, Otto Waalkes oder Ton Steine Scherben. Es heißt, auch Udo Lindenberg, Frank Zappa oder Adel Tawil verließen den Tanzkeller oft erst bei Sonnenaufgang. Selbst Theatergrößen wie Bruno Ganz, Peter Zadek, Vadim Glowna oder Judy Winter hatten hier ihren Treffpunkt, erzählt Pietsch: „Hier waren sie einer von vielen und bewegten sich ungezwungen zwischen den anderen Gästen.“ Radio Bremen nahm in dem Club viele Platten auf. „Es gibt zahlreiche Logbücher, in denen jeder einzelne Abend in der Lila Eule dokumentiert wurde“, so Pietsch. Sie sind eine Zeitreise in die bewegten Jahre der Musik- und Clubkultur.
„Die Live-Atmosphäre ist sehr speziell und elektrisierend, denn der Funke springt sofort über. Es ist anders als in anderen Clubs“, schwärmt Pietsch vom besonderen Clubcharakter. „Es ist kleiner, übersichtlicher und familiärer.“ Für viele Bands sei es wie ein Nachhausekommen, wenn sie wieder hier spielen, freut sich Pietsch. Neben Livemusik sorgen natürlich auch wechselnde DJs für eine volle Tanzfläche. „Wir sind breit aufgestellt.“
Kultureller und sozialer Schmelztiegel
Denn bei der Auswahl des Programms legt der Inhaber Wert auf Vielfalt. In Genres wie Hip-Hop, Reggae und Dancehall übernimmt der Club in Bremen nach seinen Worten eine Vorreiterrolle ein. Weitere Schwerpunkte sind Rock, Pop, Punk, Soul, Funk und auch Jazz. „Die Lila Eule ist ein Spiegelbild der Bremer Gesellschaft, jeden Alters, jeder Ethnie, wir sind für alle da und machen ein Programm für alle. Wir sind ein kultureller und sozialer Schmelztiegel der Stadt“, so Pietsch. Er führt in diesem Sinne und im Geiste der langen kulturellen, musikalischen und politischen Tradition den Club weiter – bei allen Problemen, die Einrichtungen wie seine heute haben. „Clubs sind kein Geschäftsmodell, sondern ein Lebensgefühl. Viele Bremer sind hier sozialisiert worden“, fasst er zusammen. „Heute kommen ihre Kinder und Enkel hierher.“
Das Jubiläum wird mit einer Party mit DJs, Livemusik und Konfettikanonen gefeiert.