Barbara Maier

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Der Wolf ist los

Herdenschutz durch Zäune möglich
2. Januar 2022

Kein Wildtier bewegte das ländliche Norddeutschland im letzten Jahr mehr als der Wolf. Die einen sehen das Ende des Deichschutzes an Weser und Nordsee und der Weidetierhaltung kommen, andere freuen sich über die Rückkehr des effektiven Jägers. Dabei kochen die Emotionen häufig hoch, schließlich geht es um uralte Ängste, gegen die Sachargumente wenig helfen. Für Sönke Hofmann, Vorsitzender der Dreptefarm, wo alte, vom Aussterben bedrohte Nutztiere leben, ist die Diskussion vor allem eins: unehrlich.

© Michael Hamann

Herdenschutz

„Natürlich habe ich Sorge, wenn ich unsere Schafe besuche“, gibt der gelernte Förster zu, „das habe ich aber auch, wenn ich vergessen habe den Hühnerstall mardersicher abzuschließen.“ Habicht, Fuchs und Marder fordern ihren Tribut bei freilaufendem Geflügel, eine Pressemeldung ist das niemandem wert, weil diese Beutegreifer ohne Unterbrechung hier lebten. „Und der Marder kommt genauso in den Jagdrausch und tötet alle Hühner die sich bewegen, wie es der Wolf manchmal auf der Weide tut.“ Was macht der intelligente Hühnerbesitzer nach der ersten Marderattacke?

Er sorgt für einen sicheren Stall. „Und das kann einige Anläufe brauchen. Mich hat das Mistvieh auch mehr als einmal überlistet, bis der Stall wirklich marderdicht war“, gibt Sönke Hofmann zu, „aber das ist dann meine Schuld, nicht die des Wildtieres.“ Dieses Versagen zuzugeben und als „Krone der Schöpfung“ von einem vermeintlich niederen Tier überlistet zu werden, erklärt vielleicht den oft unerklärlich heftigen Hass auf Wolf und Co.

„Jeder Zaun hat immer auch Schwachstellen, deshalb ist es ja so wichtig, dass alle Tierbesitzer so gut wie möglich zäunen und die Elektrozäune kontrollieren und pflegen“, fordert Hofmann. Er kennt den Zaun auf dem Deich bei Sandstedt, wo vor kurzem 30 Schafe gerissen wurden und weiß von mehreren Übersprungmöglichkeiten und Konstruktionsschwächen. „Da muss man als Wolf echt nicht der Hellste im Wurf gewesen sein, um den Zaun zu überwinden.“ Noch immer nehmen Tierhalter den Wolf nicht ernst oder verweigern sich dem aufwändigen Herdenschutz – 80 Prozent der Weiden haben nicht einmal einen Grundschutz. „In Stadland und Butjadingen sehen wir heute noch Schafe, die nur mit einer Einzellitze gezäunt sind, das ist verantwortungslos. Niemand würde so ungesicherte Tiere neben der Autobahn weiden lassen und dann die Autos für überfahrene Schafe verantwortlich machen.“ Der zusätzliche Aufwand für die anspruchsvolleren Zäune sei ärgerlich und sollte ausgeglichen werden, unzumutbar sei er nicht, so Hofmann.

Wölfe werden durch ungesicherte Weidetiere angefüttert

„Wir haben viel tiefgreifendere Regelungen in der Tierhaltung.“ Wenn jeder Hühnerhalter wegen der Vogelgrippe monatelang seine Tiere artenwidrig einsperren müsse oder die artgerechte Schweinehaltung im Freiland wegen der Schweinepest unmöglich gemacht werde, geschehe das allein zum Schutz der industriellen Massentierhaltung. „Ich wünsche mir, dass die Amtsveterinäre schlechte Zäune genauso kontrollieren und sanktionieren wie jetzt freilaufende Gänse.“ Ungesicherte Weidetiere seien der Grund, weshalb der Wolf überhaupt Nutztiere reiße. Eine zunächst leichte Beute bringt ihn auf den Geschmack, für den sich der Aufwand lohnt, eine Schwachstelle im Zaun zu suchen. „Wir füttern die Wölfe erst an und erklären sie dann zu Problemwölfen, die ‘entnommen‘ werden müssen“, beklagt Sönke Hofmann, „das ist es, was die Wolfsschützer aufregt und dazu die Heimlichtuerei des Umweltministers.“ Als zutiefst scheinheilig empfindet Schaffreund Hofmann die Kritik an den Zäunen: „Wenn Anwohner behaupten, der ertüchtigte Zaun am Deich würde zur Falle für Igel und Hasen, ist das schäbig gelogen.“ Der Wolfsschutz sei nur per Elektrolitze und zusätzlicher Pfosten oberhalb des alten Zaunes hergestellt worden, der schon seit Jahrzehnten unverändert da ist.

© Michael Hamann

Auch das Argument der Landschaftsverschandelung lässt der Naturschützer nicht gelten: „Wir zäunen mal eben 12.500 Kilometer Autobahnen und zigtausend Kilometer Bundesstraßen zwei Meter hoch ein und das Wild aus.

Wir zerschneiden Lebensräume mit dem weltweit dichtesten Straßennetz, da regt sich keiner auf“, betont Hofmann. Es würden sogar hunderte Kilometer Zaun aufgestellt, gerade weil es zu wenige Wölfe gibt – im Wald. „Wir zäunen den Wald ein, damit er sich verjüngen kann und Rehe und Hirsche ihn nicht auffressen. Mit mehr Wölfen hätte auch der Wald wieder eine Chance auf flächige Naturverjüngung“, so der Forstingenieur.

Einen Nachteil haben die Zäune denn doch: „Sie machen viel Arbeit und sind trotzdem ein ständiger Unsicherheitsfaktor“, gibt Sönke Hofmann zu und fordert eine pauschale Entschädigung auch für die Pflege der Zäune.

Weidetierhaltung werde durch sie aufwändiger aber nicht unmöglich, wie gerne behauptet wird. Denn Zäune wirken: Die Zahl der Nutztierrisse in Niedersachsen ist 2021 um 16 Prozent zurückgegangen, trotz steigender Wolfszahlen.

© NABU_J_Borris