„Worte! Worte. Keine Taten – Immer Geist und keine Braten!“
Heinrich Heine
Das innige Verhältnis des Menschen zum Fleisch reicht weit zurück in die Zeit, als die Menschen nicht nur Jäger, sondern selbst Gejagte überlegener (da stärkerer) Tiere waren. Mit Hilfe ihrer Intelligenz konnten sie sich im Laufe der Zeit an die Spitze der Nahrungskette setzen. Fleisch ist deshalb nicht nur besondere Nahrung geblieben, sondern auch ein Symbol für die Menschwerdung. Tierische Opfergaben konnten die Götter besänftigen und der Verzicht auf Fleisch war eine Form der Reinigung und Buße.
Die Mehrheit der Bevölkerung konnte sich bis vor wenigen Jahrzehnten Fleisch nur sonntags und zu besonderen Anlässen leisten. Diejenigen, die es häufiger leisten konnten, wurden im Norden abfällig „Bratenfreter“ (Bratenfresser) genannt. Sie nannten ihrerseits die Armen nicht weniger abfällig „Knochenpuler“.
„Bratenfreter“
Besonders Rinder haben es den Schleswig-Holsteinern angetan, es weiden heute viele Hunderttausend Rinder auf den saftigen Weiden des Landes. Das hat Tradition, denn große Ochsenherden bevölkerten einst die Weiden und trugen zum Wohlstand der Bauern bei. Selbst Kleinbauern, stellte die Rendsburger Amtsverwaltung 1809 fest, konnten neben zwei Schweinen und einer Milchkuh auch einen Ochsen ihr Eigen nennen. In anderen Regionen war das zur damaligen Zeit keine Selbstverständlichkeit.
Die Rinderschlachtung war immer Anlass für ein kleines Fest, zu dem die Nachbarn eingeladen wurden. Nichts verkam, aus Rindertalg und Dochten wurden Kerzen für die dunkle Jahreszeit hergestellt.
Die Ochsen haben dauerhafte Spuren in Schleswig-Holstein hinterlassen. Die Ochsen und der Handel mit ihnen waren ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, förderten Wohlstand, Infrastruktur und Verkehr und wurden zu einer Art Geburtshelfer der ländlichen Gastronomie – wie dem Historischen Krug.
Fernhandel
Bevor im 19. Jahrhundert Chausseen und Eisenbahnstrecken gebaut wurden, gab es in Schleswig-Holstein ein Netz von historischen Landwegen, deren bedeutendster der von Jütland bis zur Elbe führende Ochsenweg war.
Seine Ursprünge reichen wahrscheinlich zurück bis in die ausklingende Steinzeit und ältere Bronzezeit, als mit dem ersten Fernhandel begehrter Waren wie Bernstein und Kupfer Verbindungswege entstanden. Die Handelswege waren den Geländeverhältnissen angepasst, umgingen Moore und suchten günstige Flussübergänge. Die zentrale Nord-Süd-Verbindung verlief auf dem Geestrücken durch Jütland und Schleswig-Holstein und erreichte in zwei Strängen die Elbmarschen, bei Itzehoe und bei Hamburg. Auf langen Strecken folgt sie Wasserscheiden. Die aus Angeln nach Westen fließende Treene war in ihrem Oberlauf leicht zu kreuzen. Ein größeres Hindernis war die Eiderniederung. Schon im frühen Mittelalter als „der Heerweg“ (von dänisch „hærvej“) bekannt und bei Adam von Bremen schriftlich erwähnt, muss man sich diese Hauptverkehrsader als Hauptstrang eines Bündels von Wegen mit vielen Abzweigungen vorstellen. Die Wege waren im Sommer staubig und sandig, im Herbst und Winter morastig, grundlos und häufig unpassierbar.
Größere Bedeutung erlangte der zentrale Heerweg, als im Mittelalter umfangreiche Viehtriften den Weg von Jütland zur Elbe und weiter nach Süden nahmen, daher die deutsche Bezeichnung Ochsenweg.
Die zahlreichen Städtegründungen und die Zunahme der Bevölkerungsdichte im Verlauf des Mittelalters machte die Versorgung der größeren Städte (wie auch der fürstlichen Höfe) problematisch und erforderte die Belieferung aus weiter entfernten Gebieten. Die Umstrukturierung der Landwirtschaft, die sich im 15. Jahrhundert angebahnt hatte, wurde durch den großen Lebensmittelbedarf in den gewerbereichen Regionen beschleunigt. In Schleswig-Holstein und Dänemark entwickelte sich die Gutswirtschaft, wobei zunächst die Viehwirtschaft vor der Getreidewirtschaft rangierte. Die Gutsbesitzer, insbesondere in Dänemark und Jütland, betrieben nun Rinderzucht und Ochsenmast in großem Stil, kapitalintensiv, da die Ochsen erst mit vier bis fünf Jahren schlachtreif waren. Sie wurden vier bis fünf Jahre auf der Weide gezogen und dann im Winter in den großen Gutsställen gemästet, um im Frühjahr an Viehhändler verkauft zu werden, die sie über die großen Trassen des alten Heerweges nach Süden zu den Märkten, insbesondere nach Wedel, treiben ließen.
Verbindungswege
Auf drei Hauptwegen begannen in Nordjütland die Ochsentriften nach Süden. In Aalborg wurden die Tiere aus Vendsyssel zusammengetrieben und es ging auf dem östlichen Ochsenweg über Hobro, Skanderborg, Vejle nach Haderslev, wo südlich der Stadt eine bedeutende Anzahl Ochsen von den Inseln Seeland und Fünen hinzukam. Bei Immervad mündet er in den Hauptweg, der über Rødekro, Toldsted, Bov nach Süden führt, westlich an Flensburg und Schleswig vorbei nach Wedel.
Der mittlere Ochsenweg begann in Skive und führte über Viborg und dann entweder über Vejen, Skodborg, Jels, Vojens und weiter südwärts wie oben beschrieben oder über Bække, Foldingbro nach Tønder, wo er in den westlichen Ochsenweg mündete. Dieser begann in Holstebro und führte über Ribe, Tønder, Leck nach Husum, wo auch ein großer Markt stattfand. Die Tiere, die dort nicht verkauft wurden, wurden über Hollingstedt zum Krug Feldscheide getrieben und fanden Anschluss am östlichen Weg. Später kam ein Triftweg von Husum über Albersdorf nach Itzehoe hinzu.
Gastronomie
Als der Rinderhandel im 15./16. Jahrhundert größere Ausmaße annahm, entstanden an den Ochsenwegen zahlreiche Krüge, die sich auf die besonderen Bedürfnisse der Ochsentreiber einrichteten. Sie lagen außerhalb der Dörfer und Städte, die die Viehtriften umgehen mussten, hielten Tränken und Futter für die Tiere bereit, die Rastplätze waren von Steinwällen oder Zäunen umgeben, so dass die Ochsen in der Nacht zusammenblieben. Den Treibern und Händlern boten sie Unterkunft.
In dieser Zeit entstand auch der Historische Krug, der 1519 erstmalig urkundlich erwähnt wird. Damals hieß er noch Kirchspielkrug von Oeversee.
Unter König Christian I., wurden die Kröger 1521 verpflichtet, ihren Gästen zu jeder Mahlzeit drei Gerichte zu reichen, dazu – umsonst – Bier. Alles wurde damals genauestens reglementiert: die Preise für die Gerichte, die Pflicht, den Gast zu beherbergen und das Aufstellen eines Schildes mit dem Namen vor dem Krug.
Unter den Gästen im Krug herrschten erhebliche Rangunterschiede. Der Ochsenhändler, der im Pferdefuhrwerk vorfuhr, wurde vom Wirt bevorzugt behandelt. Er erhielt eine besondere Stube und ein besonderes Essen, das ihm, so ist es aus Dänemark überliefert, mit „Vær så god“ (bitte sehr) serviert wurde. Von den Treibern waren die Ochsentreiber hochrangiger als die Schweinetreiber, die im Stall oder in der Scheune saßen und denen die Wirtin ihr einfaches Essen mit der Bemerkung „Tag og æd“ (nimm und friss) austeilte.
Reisende
Selbstverständlich wurde der Heerweg auch von allen möglichen Reisenden benutzt: Kaufleuten und Handwerkern, Fürsten und Bettlern. Im späten Mittelalter wurde er zudem von Pilgern benutzt, um zu den großen Pilgerstätten Rom, Jerusalem und insbesondere Santiago de Compostela zu gelangen.
Im 17. Jahrhundert wurde mit dem Entstehen der Post das Reisen weniger beschwerlich und sicherer. 1624 richtete der dänische König und Herzog von Schleswig-Holstein, Christian IV., eine Post für Briefe und Pakete ein. Eine Route verband Kopenhagen und Hamburg über den Ochsenweg. In diesem Jahr erhält der Kirchspielkrug zu Oeversee das königliche Privileg und die Posthalterei. Die Postboten machten dort Station. Als Gegenleistung brauchte der Kröger die Einquartierung von Soldaten nur noch in Begleitung des Königs zu dulden. Sie waren nicht sehr beliebt. Außerdem durfte er nun steuerfrei Brot backen, Bier brauen, Schnaps brennen – und auch alles außer Haus verkaufen. Für den Kröger ein gutes Geschäft – Bier, Schnaps und Brot waren zu allen Zeiten gefragt.
Seit 1653 wurden auch Personen befördert. Die Kutschen fuhren regelmäßig, es entstand ein System von Poststationen, an denen die Pferde gewechselt wurden und der Fahrgast sich stärken und gegebenenfalls übernachten konnte.
So verordnete Christian V. 1670 auch unserem Krug, dass er eine gute Ein- und Ausfahrt, mindestens vier Zimmer mit guten Betten und Kaminen sowie ausreichend Platz für drei Pferdewagen haben müsse. So fuhr man von der einen Seite zum Haus vor, versorgte sich sowie die Pferde, und fuhr dann auf der anderen Seite wieder hinaus. So entstand die sogenannte „Durchfahrt“.
1730 verbot Christian VI., dass Bauern und „andere“ im Krug Bier und Schnaps trinken – die Nachbarn der Umgebung hatten zu häufig zu tief ins Glas geschaut – dieses Recht sollte nur den Reisenden vorbehalten bleiben.
Marschroute
Der Weg war immer auch Marschroute von Armeen. Die Wallanlagen des vom 7. bis 13. Jahrhunderts genutzten Danewerks dienten dazu, das dänische Reich an der Schleswiger Meerenge gegen Einfälle von Süden über den Heerweg zu schützen. Während des dreißigjährigen Krieges, unter dem Schleswig und Holstein 1627 bis 1629 durch den kaiserlichen Krieg und 1643/44 den schwedisch-dänischen Krieg zu leiden hatten, sowie 1657-60 während des dänisch-schwedischen Krieges zogen kaiserliche, schwedische, brandenburgische und polnische Armeen sowie dänische auf dem Heerweg in Richtung Norden und zurück. Im deutsch-dänischen Krieg (Deutscher Bund gegen Dänemark) waren es die Österreicher, die die zurückziehenden Dänen über den Heerweg verfolgten. Auf dem Engpass zwischen Oeversee und Bilschau wurde die dänische Nachhut dann bekanntlich von österreichischen Soldaten angegriffen und es kam zu einem kurzen heftigen Gefecht. Am Tag nach dem Kampf, in dem 135 Dänen und Österreicher gefallen waren, diente der Krug als Lazarett für die Verwundeten beider Seiten. Zum Gedenken an das Gefecht am 6. Februar 1864 findet bis heute ein Traditionsmarsch von Flensburg nach Oeversee statt, wo die Teilnehmer nach der Kranzniederlegung ein gemeinsames Mittagessen im Historischen Krug einnehmen. Die entscheidende Niederlage erlitten die Dänen jedoch am 18. April durch die weiter östlich vorgerückten Preußen bei den Düppeler Schanzen.
Die Kriege des 17. Jahrhunderts brachten den Ochsenhandel zum Erliegen, ruinierten Teile Schleswigs und Holsteins wirtschaftlich und brachten erhebliche Verluste in der Bevölkerung mit sich. Danach erreichten die Ochsentriften nie mehr ihren vorherigen Umfang, in Spitzenzeiten im 16. Jahrhundert waren bis zu 50.000 Tiere im Jahr nach Süden getrieben worden.
Getrieben wurde noch bis ins 19. Jahrhundert. Danach übernahm die Eisenbahn den Viehtransport über Land. Der Ochsenweg verschwand, wurde überbaut – Teilstücke sind noch heute zu besichtigen – geblieben ist den Schleswig-Holsteinern ihre Liebe zum Rindvieh und zu den am Ochsenweg gelegenen historischen Gasthöfen.