Jutta Kürtz

Journalistin & Sachbuch-Autorin

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Bei uns ist der Karpfen blau

Traditionelles aus Pütt un Pann
15. November 2022

Mönchen aus fernen Zeiten verdanken wir eine Delikatesse, die in diesen Wochen Feinschmecker beglückt: den Karpfen. Den Festtagsfisch, der tonnenweise zum Ende des Jahres aus den Teichen geholt und dann blau oder schwarz, gedünstet oder gebraten, geschickt filetiert oder zu köstlicher Suppe oder Mousse verarbeitet wird. In vielen Familien ist es hierzulande seit Generationen Brauch, zum Jahreswechsel, an einem der festlichen Tage, Fisch zu essen, der Karpfen ist da der weltweit beliebteste Teichfisch. Einst war er eine Fastenspeise – zumal Fisch ein uraltes Symbol für das Christentum ist. So kam er in den Weihnachtsfestzyklus, der ja immerhin mit St. Martin am 11. November beginnt und erst am 2. Februar endet, am Fest Mariä Lichtmess. Im November werden auch heutzutage die Karpfenteiche abgefischt.

Als klösterliche Delikatesse geriet der Karpfen den Schleswig-Holsteinern in ihre Teiche. Es war Adolf III., Graf von Holstein, der 1186 Zisterziensermönchen Land in Reinfeld schenkte. Die Mönche besiedelten ihr neues Land und schufen aus Urwald und Ödland eine blühende Agrarlandschaft mit vielen Karpfenteichen. Sie wussten ja von dem leckeren Fastenfisch, der schon Jahrtausende von Jahren zuvor in China gezüchtet wurde. Der cyprinus carpio, wie die Ichthyologen, die Fischforscher, die Stammform des Karpfens nennen, wurde in der Antike durch die Römer in Europa verbreitet.


Holsteiner Fisch

Die Mönche in Reinfeld züchteten aus dem wilden Teichfisch den viel besser schmeckenden, besonders fleischreichen, grätenarmen Spiegelkarpfen – mit nur wenigen, aber großen, metallisch glänzenden Schuppen. Sie züchteten ihren klösterlichen Karpfen mit hohem, fleischigem Rücken, legten auf vielen Gütern und Residenzen Karpfenteiche an und exportierten ihn als „Holsteiner Fisch“. Weil es ja so viele Fastentage gab und weil Karpfenspeisen ein gar köstlicher Genuss waren. Da fastete man gerne…

Und wenn nicht, dann wurde notfalls auch geschummelt, wenn man Abwechslung brauchte. „Ego te capto carpam“ – ich taufe Dich zum Karpfen – so sprach dann der klösterliche Abt und griff damit seinem Bruder Küchenmeister kräftig unter die Arme. Es ist kein schlechter Küchenwitz, dass in Fastenzeiten auf diese Art durch Mutation aus manchem Spanferkelgericht eine fastengemäße Karpfenspeise wurde. Es tat ja zugegebenermaßen in alten Zeiten allen gut, nicht nur Wasser und Brot und immer Fisch und das viele erlaubte Grünzeug und auch die Mandelmilch zur Nahrung zu nehmen. Eine schöne Karpfentaufe war da die rechte Erlösung.

In unserer Zeit haben Wissenschaftler längst für einen gräten-armen Karpfen gesorgt. Die widerhakigen Gräten des Karpfens sind ja wirklich ein Ärgernis und verlangen Geschick und hohe Aufmerksamkeit beim Zerlegen und beim Speisen. Wen wundert’s, dass inzwischen moderne Maschinen trickreich für sehr spezielle Filets der leckeren Tiere sorgen. So bleibt der Karpfen weiterhin beliebt – jährlich ernten wir in den Teichen und Aquakulturen zwischen Nord- und Ostsee etwa 70 Tonnen Speisekarpfen.

Traditionell essen wir im Norden den frischen Fisch aus unseren Teichen, am liebsten als Karpfen blau, mit brauner Butter, Meerrettichsahne und Zitronensaft. Ganz pur entfaltet der Teichfisch seinen wunderbaren leicht modrigen Geschmack. Bei Thomas Mann und Theodor Storm und vielen anderen Literaten ist das auch nachzulesen. Aber schon vor Jahren haben uns Zugereiste auch den Dicken schwarz auf die Teller gebracht – womit nicht der aus China stammende „Schwarzkarpfen Amur“ gemeint ist, sondern der in schwarzer Blutsoße servierte Spiegelkarpfen. Wer’s mag, der fängt beim Schlachten das Karpfenblut auf und verrührt es mit Essig, einer feinen Gemüse-Julienne, würzt mit Schwarzbier und bindet die Soße mit Lebkuchen. Die Karpfenstücke, die darin garen, schmecken sehr besonders. Eine von vielen Varianten. Und wer einmal im Frankenlande gereist ist und in Teichwirtschaften gespeist hat, der schwärmt vom kroß gebackenen fränkischen Karpfen!
 


Sinnbild der Fruchtbarkeit

Mengen von Mythen und Märchen ranken sich um den Karpfen – schon im Altertum galt der Karpfen als Sinnbild der Fruchtbarkeit. Kein Wunder bei der Fülle der winzig kleinen Eier. Den Rogen verspeist man auch heute noch mit großem Genuss. Denn – so sagt man – „so viele Körner, so viel Geld.“ Auch dieser Aberglaube hat die Zeiten überlebt: Die Schuppe vom Weihnachts- oder Silvesterkarpfen bringt Glück! Glaubt man! Im Portemonnaie sorgt sie das ganze Jahr für blanke Taler. Man streut die Schuppen vom Festtagsfisch auch als Glücksbringer durchs Haus. Vor allem aber: Wer am Karpfenkopf über den Augen das mondförmige Karpfensteinchen entdeckt, der sollte es schnell an sich nehmen. Das ist ein Glückssteinchen der besonderen Art. Auch als (weihnachtliches, jahres-endliches) Liebesgeschenk!

Karpfen blau. © Ingo Wandmacher

Rezept

Karpfen Blau

Zutaten (4 Pers.)

1 küchenfertiger Karpfen (ca. 2 kg), 1 Zwiebel, 2 Möhren, ½ Knollensellerie, 1 Lauch, 1 Bund Petersilie, 4 Lorbeerblätter, 1 TL Pfefferkörner, 1TL Wacholderbeeren, 5 Gewürznelken, ¼ l Weißweinessig, 125 g Sahne, ½ Stange frisch geriebener Meerrettich, 1 Zitrone, 250 g Butter, Salz.

Zubereitung

Die Zwiebel schälen und grob hacken, die Möhren, den Sellerie schälen und klein schneiden. Den Lauch putzen, waschen und in Streifen schneiden, die Petersilie hacken. Petersilienstängel mit dem Gemüse in einen großen Topf geben und 3 l Wasser aufgießen. Die Gewürze in ein Gewürzsieb, ersatzweise Kaffeefilter, geben und in den Kochsud geben. Reichlich Salz und den Essig in den Sud geben und 10 Minuten kochen lassen. Dann die Gewürze wieder herausnehmen.

Den Karpfen waschen, der Länge nach in 4 Portionen aufschneiden und in den Sud legen und 20 Minuten ziehen lassen. Ausgesprochene Karpfenfans geben auch die Karpfenmilch oder den Rogen in den Sud.

Inzwischen die Sahne steif schlagen und die Butter in einem kleinen Topf schmelzen. Die Karpfen auf vorgewärmten Tellern anrichten und mit Zitronenvierteln garnieren. Dazu den geriebenen Meerrettich, die Schlagsahne und die zerlassene Butter reichen. Als Beilage empfehlen sich Salzkartoffeln.

© Ingo Wandmacher