Aus den Tiefen des Meeres

Bremer Naturschwammhändler liefert in mehr als 60 Länder weltweit
21. September 2022

Ein Beitrag von Janet Binder

Vor 125 Jahren beschlossen Gustav Croll und Theodor Denecke, rohe Schwämme aus dem griechischen Mittelmeer zu importieren und in Handarbeit zu Badeschwämmen zu verarbeiten. Genauso machen es die dritte und vierte Generation des Bremer Familienunternehmens noch heute. 2.000 bis 3.000 Schwämme verschicken Peter, Nina und Sara Hankiewicz jeden Tag. Croll & Denecke ist Europas größter Naturschwammhändler und liefert von der Hansestadt aus in mehr als 60 Länder auf der ganzen Welt. 

Unternehmer in dritter und vierter Generation: Nina, Peter und Sara Hankiewicz (von links). © E. Servet Mutlu

Hafenausbau, Weserkorrektion, Zollanschluss: Als Croll und Denecke Ende des 19. Jahrhunderts ihre Firma gründeten, erlebte Bremen einen enormen wirtschaftlichen Aufschwung. Die Stadt wuchs rasant, die Euphorie der Gründerzeit erfasste auch den Alltag. Durch den boomenden Überseehandel waren Dinge wie exotische Früchte plötzlich stets verfügbar. In gut ausgestatteten Fachgeschäften gab es Waren aus Übersee – Kaffee, Kakao und Bananen. Die Menschen begeisterten sich für Naturprodukte aus fernen Ländern. So waren Gustav Croll und Theodor Denecke seinerzeit nicht die einzigen Schwammhändler, als sie sich am 23. September 1897 selbstständig machten. „Zu der Zeit gab es mehr als hundert solcher Firmen, die meisten davon in Bremen“, sagt Peter Hankiewicz.  


Experten für Großbestellungen

 Nach und nach wurden es jedoch immer weniger Betriebe. Während die einen durch die Kriege aufgeben mussten, die anderen keinen Nachfolger fanden, wuchs Croll & Denecke – und ist heute eine bekannte Adresse für Großbestellungen. „Wer heute 1.000 Schwämme auf einmal braucht, muss schon zu uns kommen“, sagt Peter Hankiewicz, der das Unternehmen aus dem Bremer Stadtteil Vahr in sechs Jahrzehnten zum größten Schwammhändler Europas geführt hat. 1929 hatte sein Großvater die Geschäftsleitung von den einstigen Gründern übernommen, 1948 stieg sein Vater ein. 1958 kam Peter Hankiewicz dazu. Als damals 18-Jähriger lernte er den Beruf des Schwammhändlers von der Pike auf. Er fing mit der Prozedur des Schwammschnitts an, heute ist er Experte auf dem Gebiet: „Am besten geht es mit Schafscheren. Die schwachen Stellen am Schwamm schneidet man heraus“, erklärt er. „Das ist fast wie bei uns Menschen. Jeder bekommt die Frisur, die zu ihm passt“, ergänzt Tochter Sara Hankiewicz lächelnd.

Erst durch viele Schritte in Handarbeit bekommen die Naturschwämme ihre spätere Form und Farbe. © Jens Lehmkühler

Waschen, Trocknen, Schneiden – fast wie beim Friseur

 Nina und Sara Hankiewicz sind mit Naturschwämmen großgeworden. In den Ferien reisten sie mit ihren Eltern oft nach Griechenland und Tunesien – in Länder, an deren Küsten besonders viele Schwämme wachsen. Während ihr Vater mit den Lieferanten verhandelte, spielten sie mit deren Kindern. „Im Hafen sahen wir, wie die Schwämme in der Sonne trockneten“, erinnert sich Nina Hankiewicz. Neben Griechenland und Tunesien bekommt Croll & Denecke seine Rohware heute auch aus Kroatien und Libyen. In großen Ballen zusammengepresst, braun wie Erde und voller Muscheln sind die Schwämme dann noch. Erst durch viele Schritte in Handarbeit bekommen sie ihre spätere Form und ihre gelb-goldene Farbe. Fast wie beim Friseur müssen sie zum Waschen, Trocknen, Schneiden.  


Naturprodukt aus der Tiefe 

Schwämme kommen aus der Tiefe. Sie wachsen auf dem Meeresgrund. Im Frühjahr und Herbst ernten Schwammtaucher sie mit einem Messer von Hand. „Nur der Kopf wird mitgenommen, die Wurzel bleibt erhalten“, sagt Nina Hankiewicz. Das Abschneiden setzt Millionen von Samen frei – und der Schwamm kann wieder wachsen. „Das macht den Naturschwamm zu einem besonders nachhaltigen Naturprodukt“, so Schwester Sara Hankiewicz. Ähnlich wie beim Gras müsse man sich das Nachwachsen vorstellen, allerdings dauere es bei den Schwämmen länger. Zwischen neun Monate und fünf Jahre dauert es, bis sie wieder so groß wie zuvor sind. „Das hängt ganz von der Sorte ab“, so die Bremer Unternehmerin. 

“Am besten geht es mit Schafscheren”, sagt Peter Hankiewicz, Experte auf dem Gebiet des Schwammschnitts. Dieses Wissen gibt er an seine Mitarbeiter weiter. © Jens Lehmkühler

Ein Stück Natur für zu Hause

 Mehr als 7.500 Arten Schwämme wachsen in den Weltmeeren. Einige sind nur wenige Millimeter groß, andere mehr als drei Meter hoch. Die Form variiert: Mal sehen sie wie Kissen, mal wie Becher, mal wie Bäume aus. „Einige wachsen schon in ein bis zwei Meter Tiefe, für andere muss man 30 bis 40 Meter tauchen“, weiß Sara Hankiewicz. Für den Handel eignen sich nur etwa zehn Arten. Erst im 19. Jahrhundert entdeckten Wissenschafter, dass Schwämme keine Pflanzen, sondern Tiere sind. Mit einem Alter von 560 bis 700 Millionen Jahren gehören sie zu den ältesten Lebewesen auf der Erde. Ihre Körper bestehen aus einem System von Kanälen und Kammern. Wie ein Filter pumpen sie unablässig Wasser durch sich hindurch, um sich von Plankton zu ernähren. Genau dieser Körperbauplan ist es, der einen Naturschwamm von der künstlichen Konkurrenz unterscheidet. Während der Kunststoff-Schwamm kaum Wasser aufnimmt, saugt sich der weiche Naturschwamm mit Wasser voll. Über sein Kanalsystem fließen Wasser und Schmutz später vollständig heraus. Schon in der Antike dienten Naturschwämme der Körperpflege. Ihre Struktur ermögliche Reinigung, Peeling und Massage zugleich – eine einzigartige Kombination, schwärmen die Bremer Unternehmer. Hinzu kommt die hohe Langlebigkeit der Naturschwämme. „Mit der richtigen Pflege halten sie drei bis fünf Jahre“, sagt Sara Hankiewicz.


“Wir sind in Bremen verwurzelt”

Seit 2008 und 2019 leiten auch Nina und Sara Hankiewicz die Geschäfte der Bremer Manufaktur, die 20 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Mit mehr als 150 Produkten rund um das plastikfreie Bad und die plastikfreie Küche haben die beiden Schwestern seitdem das Sortiment erweitert – vom veganen Rasierpinsel über die Massage-Bürste mit Kokosborsten bis hin zur Zahnseide aus Maisstärke. Zwei Drittel seines Jahresumsatzes von aktuell 4,5 Millionen Euro erwirtschaftet das Traditionshaus heute mit den nachhaltigen Produkten für Bad und Küche – der Standort biete die ideale Basis dafür: “Wir sind in Bremen verwurzelt, unsere Kaufmannsfamilie ist schon seit vielen Generationen hier ansässig und wir fühlen uns hier wohl“, sagt Sara Hankiewicz. „Gerade als junge Unternehmerinnen schätzen wir das Netzwerk und den Austausch mit anderen agilen Firmen hier in der Hansestadt. Auch die Infrastruktur und die Nähe zu den Häfen sind für uns als Handelsunternehmen wichtige Faktoren.“

Gemeinsam mit ihrer Schwester Nina leitet Sara Hankiewicz die Geschäfte der Bremer Manufaktur Croll & Denecke. © Jens Lehmkühler

Schwämme werden in über 60 Länder weltweit verschickt

In 62 Länder verschickt das Bremer Unternehmen seine Schwämme. Neben den deutschen Einzelhändlern, zu denen Drogerien, Parfümerien und Unverpacktläden gehören, kommen die Hauptkunden aus Dänemark, Frankreich und der Schweiz. Aber auch in weit entfernten Ländern wie Australien, Hawaii und Thailand waschen sich die Menschen mit den Bremer Schwämmen. „Mit unseren kleinen Silkschwämmen werden in Thailand gerne die Babys gebadet“, berichtet Peter Hankiewicz. An Schweizer Schulen wischen Schüler und Lehrer die Tafeln noch mit echten Naturschwämmen und in Finnland gehören die Schwämme zum Saunagang dazu. „Jedes Land hat seine eigenen Vorlieben“, so Hankiewicz.