Der Gast, vom Typ her vielbeschäftigter Manager, sprach unaufhörlich in sein Handy. Als der Herr nach geraumer Zeit noch immer nicht dazu gekommen war, eine Bestellung aufzugeben, trat Restaurant-Inhaber Vincent Moissonnier an seinen Tisch und schob ihm einen Zettel hin: «Geben Sie uns Ihre Handynummer, wir rufen Sie an, um Ihre Bestellung aufzunehmen», stand darauf. Kleiner Wink mit dem Zaunpfahl.

Moissonnier (64) ist französischer Sterne-Gastronom in Köln, gefragter Talkshow-Gast und Bestsellerautor. Kürzlich veröffentlichte er das Buch «Ein Tisch am Fenster», in dem er die Geschichte seines 1987 eröffneten Restaurants «Le Moissonnier» erzählt – randvoll mit bewegenden und komischen Anekdoten. Nebenbei geht es auch um prominente Gäste wie Oscar-Gewinner Sir Michael Caine, Schauspieler Bruno Ganz und Kardinal Rainer Maria Woelki.
Ebenso wie in seinem ersten Buch «Der Käse kommt vor dem Dessert» gibt Moissonnier auch diesmal wieder den einen oder anderen Verhaltenstipp für einen unfallfreien Restaurant-Besuch.
Das Publikum sei bunter und jünger geworden, freut er sich. «Es hat sich sehr viel getan, alles ist sehr kosmopolitisch geworden, und die Generation, die jetzt kommt, hat besonders viel Lust auf gute Küche.»
Seine Hinweise sollten bitte nur als Schwellen-Absenker verstanden werden, nicht als Bevormundung, betont der «Patron». Und fügt lachend hinzu: «Sonst sagen die Leute hinterher noch: „Der Typ soll uns in Ruhe lassen und zurückgehen zu seinem Macron!“»
Im Restaurant darf der Mann noch Kavalier spielen
Moissonnier lebt zwar schon seit über 40 Jahren in Deutschland, aber er hat weiter ausschließlich die französische Staatsbürgerschaft und spricht mit leichtem französischem Akzent.
Den muss man sich dazu vorstellen, wenn er sagt, dass es nach wie vor gut sei, wenn der Mann der Frau beim Hereinkommen die Tür aufhalte. Anschließend solle er vor ihr hergehen, ihr den Mantel abnehmen und ihr den besseren Platz überlassen.
Aber passen solche Regeln noch in eine Zeit, in der Geschlechteridentitäten zunehmen aufweichen? Seine Antwort: «Ich will gar nicht bestreiten, dass das so ist, aber ich gehe jede Wette ein, dass in dieser konkreten Situation jede Dame die ihr entgegengebrachte Aufmerksamkeit zu schätzen weiß.»
Die Kleidung so wählen, dass sie andere nicht stört
Moissonnier selbst macht stets einen tadellosen Eindruck, sein Markenzeichen ist eine kleine Fliege, doch er betont: «Es gibt Menschen, die sind gerne locker angezogen, und das soll auch so bleiben. Schwierig wird es erst, wenn man etwas macht, das die Umgebung stört.» Der Leitgedanke ist: Kurz nachdenken, ob das Outfit ins Gesamtbild passt. Für Jogginghose und Muskel-Shirt trifft das eher nicht zu.
Handys gehören nicht auf den Tisch
Früher gab es mal ein Handyverbot bei «Le Moissonnier», aber das haben Vincent und seine Frau Liliane – gleichfalls Französin – irgendwann wieder abgeschafft. «Hoffnungslos.»
Aber: Man sollte das Ding auf jeden Fall stumm schalten und auch bitte nicht auf den Tisch legen. Denn der wird gebraucht für Teller, Gläser, Schüsseln. «Manchmal geben wir den kleinen Hinweis, dass wir für Wasserschäden durch umgekippte Gläser und Flaschen nicht haften. Gäste mit Humor verstehen das sofort.» Was ihn überrascht: «Es kommen junge Paare hierher, die sitzen sich gegenüber und starren auf ihre Handys. Haben die sich nichts mehr zu sagen?»
Stoff-Servietten nie auf den Teller legen
In der Gastro wird es allgemein als Todsünde betrachtet, wenn der Gast seine Stoffserviette nach dem Essen auf den abgegrasten Teller legt. An dieser Stelle wird Moissonnier richtig emotional: «Das ist furchtbar, es gehört sich nicht», schimpft er.
«Eine Serviette ist kein Papiermüll, sondern Bestandteil der Tischkultur, und die wirft man nicht auf einen Teller fertig gegessener Spaghetti Bolognese. Die legt man gefaltet neben den Teller. Auch eine Papierserviette hat auf dem Teller nichts zu suchen.»
Kinder müssen beschäftigt werden
«Kinder sind nie ein Problem, das Problem sind die Eltern.» Damit meint Moissonnier Gäste, die den Nachwuchs zum Beispiel von Tisch zu Tisch gehen lassen. Ein Erfahrungswert aus 40 Jahren Kundenkontakt: «Kinder müssen schnell etwas zu essen bekommen, dann sind sie zufrieden und in der Regel auch ruhig, aber bald danach müssen sie beschäftigt werden.»
Wenn die Eltern das nicht schaffen, gehen die Kellner manchmal mit ihnen in die Küche, um sie abzulenken. Aber so sollte es natürlich eigentlich nicht sein. Einmal hatte Moissonnier ein Gäste-Paar, das sich für den Abend extra einen Babysitter organisiert hatte, um mal ganz in Ruhe essen zu können. «Die beiden haben sich dann zu Recht beschwert, als am Nachbartisch ein Schreikind nicht ruhig gehalten werden konnte.»
Trinkgeld gibt man mit dem Herzen
Bei einer Rechnung von 100 Euro drei Euro Trinkgeld zu geben, ist nach Moissonniers Ansicht noch schlimmer als gar kein Trinkgeld zu geben. Dabei ist ihm bewusst: «Es gibt Menschen, die können kein Trinkgeld geben. Die sparen für den Restaurant-Besuch, kratzen das Geld zusammen. Da sage ich: „Gönne es ihnen und sei froh, dass sie überhaupt bei dir gewesen sind.“»
Ein übertrieben hohes Trinkgeld kann nach seiner Erfahrung dazu führen, dass man den Gast nicht mehr ernst nimmt. Die goldene Regel: Fünf bis zehn Prozent sollten es sein. Wie viel genau, entscheidet man aus dem Bauch heraus. Oder in Moissonniers Worten: «Lass dein Herz sprechen.»

Geschichten aus einem besonderen Restaurant
Seit bald 40 Jahren stehen sich zur Mittagszeit in einer unscheinbaren Kölner Straße Menschen die Füße platt, lugen durch ein verhangenes Schaufenster und warten darauf, an einen zauberhaften Ort vorgelassen zu werden. Das Le Moissonnier ist ein in vielerlei Hinsicht ungewöhnliches Sternerestaurant und zugleich der Schauplatz so unzähliger wie unwahrscheinlicher Geschichten.
Seine eigentliche Geschichte beginnt Anfang der 80er-Jahre, als Vincent und Liliane, beide aus Frankreich stammend und Berufseinsteiger im Gastronomiegewerbe, sich in Berlin über den Weg laufen. Im Nu nimmt eine Liebesgeschichte ihren Lauf und führt nach weiteren Lehrjahren und einem Umzug nach Köln zur Gründung eines eigenen Bistros.
Wie von einem modernen Märchen erzählt dieses Buch von einer bescheidenen Idee und den Hürden einer Existenzgründung in der Fremde, von den Mühen des Aufstiegs und vom Zauber des Erfolgs. Wir lesen von auffälligen und unauffälligen Gästen, von den abenteuerlichsten Seiten der Arbeit mit Menschen in der Gastronomie und von den Grundlagen der gehobenen Küche. Denn das Buch macht auch vor der Schwingtür zum Allerheiligsten nicht halt: mit einer verblüffenden Offenheit berichtet es von der raffinierten und dabei zutiefst sinnlichen Arbeit einer Sterneküche.
Ein Buch, das Genuss und Geschmack erfahrbar macht, das die wunderlichsten Gestalten zum Leben erweckt und einen besonderen Ort zum Strahlen bringt.
Vincent Moissonnier, Bert Gamerschlag: Ein Tisch am Fenster.
Kiepenheuer&Witsch, 336 Seiten, HC, 25 Euro






