Ein Beitrag von Bärbel Ring
Wie alles begann
Mein erster Berührungspunkt mit Weinkennern oder mit Menschen, die sich wirklich für Wein und seinen Ursprung interessieren und ihn nicht für ein Saufgelage nutzen, war in der Gastronomie.
Ich hatte mich früher niemals damit auseinandergesetzt, wie der Wein in die Flasche kommt oder was dafür im Keller getan werden muss, bis ich nach Feierabend mit den Kollegen im Gasthof Brendel im Stadtteil Friemersheim in Duisburg- Rheinhausen zusammenstand und wir gemeinsam Weine degustierten.
»Der duftet nach Apfel, gelben Früchten und einer leichten Vanillenote.« »Er hat eine straffe Säure, die gut abgepuffert wird vom kräftigen Körper – eindeutig Holzeinsatz!«
Ich hörte all diese scheinbar mühelosen Sätze und war fasziniert von der Fähigkeit, all das zu schmecken. Wie geht das? Wie schmecke ich die vielen Aromen? Als ich neugierig ins Glas schnupperte, habe ich nur Wein gerochen. Wow. Aber ein Anfang. Es hat mich geflasht und ich wollte wissen, wie es funktioniert, und wollte unbedingt auch erleben, was die anderen im Glas erkundeten.
Erst dachte ich: Eigentlich ganz einfach: Trauben pressen, warten, bis Alkohol entsteht, und ab in die Flasche. Prinzipiell stimmt das, allerdings wäre es ja keine Kunst, einen sauberen Wein in die Flasche zu bekommen, würde das jeder spontan mit seinen gekauften Supermarkttrauben zu Hause machen können. Aber wie kommt denn dann diese verdammte Vanille ins Glas? Die schmeißen bestimmt Vanilleschoten in die Fässer!
Wein ist ein komplexes Thema, in etwa so wie Integralrechnung für Erstklässler. Wenn man das Einmaleins nicht kann und alle darauf aufbauenden Schritte, versteht man logischerweise auch die komplexen Strukturen des Integralrechnens nicht und macht den Kopf zu.
Beim Wein muss man ebenso das Einmaleins des Weinbaus, die ganzheitliche Betrachtungsweise beachten und nicht direkt mit der Königsdisziplin, der Blindverkostung, loslegen – die kommt später. Weinbau und Kellertechnik – beides hört sich erst mal trocken an, ist es aber nicht. Denn im Weingarten beginnt alles.
Bis ich das begriffen habe, hat es allerdings etwas gedauert. Denn die Region, aus der ich komme – ich bin ein echtes Stahlkind aus Duisburg-Rheinhausen –, ist eher für Bier bekannt, weniger für Wein. Da ich nichts mit Wein am Hut hatte, war das Grundverständnis für dieses Produkt schlicht nicht da. Aber daran ließ sich arbeiten.
Schmeckt oder schmeckt nicht
Zu Beginn verkostete ich Weine nach dem ganz simplen Prinzip »schmeckt oder schmeckt nicht«. Noch interessanter wurde es, als ich in München arbeitete, denn da traf ich zum ersten Mal einen Sommelier. Mit ihm nahm mein Weinverständnis stetig zu. Im Ederer gab es eine große Karte mit Bordeaux, die in Jahrgangstiefen ging. Verkostet haben wir damals immer nach dem Feierabend. Dort habe ich zum ersten Mal einen Rheingauer Riesling aus dem Weingarten Berg Schlossberg getrunken. Ich weiß noch wie heute, dass er nach weißen Pfirsichen geduftet hat – für mich ein Schlüsselmoment.
Nach München rief mich die schöne Insel Sylt. Dort arbeitete ich in Keitum, bei Karsten Wulff, einem kleinen, feinen Fischrestaurant. Die Weinkarte war liebevoll zusammengestellt mit vielen deutschen Gewächsen und mit jedem Tag, dem ich mich dem Thema Wein widmete, wurde mein Wunsch, Sommelier zu werden, größer. Und so büffelte ich, lernte zu Hause die Anbaugebiete, Regionen, Rebsorten – in der Theorie, aber auch in der Praxis. Das Bild von den Weinen, die ich gerne trank, wurde immer runder und klarer.
Auf der Wein-Schulbank
Und dann endlich der große Schritt – ich ging zur Sommelierschule! Dazu mussten wir allerdings die Insel wieder verlassen. Wir, mein Mann Norman und ich, wohnten im Rheingau, ich arbeitete im Kronenschlösschen, machte mein Praktikum auf dem Weingut Künstler und ging nebenbei auf die Sommelierschule in Koblenz. Das war sehr intensiv und ehrlich gesagt ziemlich knackig. Das Kronenschlösschen veranstaltet einmal im Jahr für zwei Wochen ein Gourmetfestival, an dem Köche und Winzer aus aller Welt beteiligt waren. Als Sommelier dort arbeiten zu dürfen, hat mich sehr geprägt.
Jeden Tag mehrere Flaschen zu verkosten, um zu testen, ob sie korken – ich meine so 20 oder 30 Flaschen –, das trainiert die Nase definitiv auf das ungewünschte Aroma. Ich konnte seltene Weine degustieren, Vorträge großer Weinkenner hören und all die schönen Geschichten im Glas verinnerlichen, ich kann mir kein besseres Training vorstellen. Aber so schön es mitten im Rheingau war, unser Herz hing schon damals im Norden fest. Und so fiel die Entscheidung nach meinem Abschluss: ab auf die Insel.
Seitdem sag ich »Moin« und arbeite seit 2009 im Söl’ring Hof als Sommelière. Durch Johannes King hatte ich die Möglichkeit, einen eigenen Weinkeller aufzubauen, was nicht selbstverständlich ist als junger Sommelier. Und nun, 14 Jahre später, schaue ich zurück und bin glücklich über meinen Weg. Alles in allem scheine ich meine Passion ganz gut zu machen.
Weinschule digital
Das fand auch Antonia Wien, Food-Expertin, Gastro-Beraterin und Genussmensch durch und durch. Denn sie wandte sich mitten im Lockdown an mich mit einer ungewöhnlichen Bitte. »Mach mich richtig fit, Bärbel, damit ich die Macker-Weintastings besser packe.« Ich musste lachen. Und sagte sofort zu.
Und damit begann unser Corona-Projekt »Weinschule digital«. Wie das ablief? Alle zwei Wochen ein Date am Sonntagvormittag per Zoom. Didaktisch strukturiert mit einem Vortragsteil und mit einer Verkostung von Weinen, die ich Antonia vorab zugeschickt hatte – später übrigens auch blind mit dick abgeklebten Etiketten.
Wie verkostet man idealerweise, worauf sollte man achten?
Verstehen andere Menschen die Aussage »schöner Wein«?
Oder ist es sinnvoller, seine Attribute zu betiteln?
Was ist ein »kühles Jahr«? Und vor allen Dingen: Woran erkennt man es?
Was bedeutet »Terroir« und wie zum Teufel schmeckt man diesen verdammten Schiefer aus dem Wein? Oder die Vanille?
Das ging über Monate. Inzwischen ist Antonia fit, lässt sich bei Tastings nicht mehr aus der Ruhe bringen und ich tippe diese Zeilen für mein erstes Weinbuch, das eigentlich die logische Folge dieser kleinen privaten Weinschule war. Denn all dem war der gleiche Eindruck vorangegangen:
Spaß im Glas
Wein wird mir oft viel zu ernst genommen. Alle machen ernste Gesichter und jeder will besser sein als die Mitverkoster – die sich mit Etiketten und hohen Preisen profilieren möchten! Vorsicht bei Label-Trinkern. Da wird viel geblufft und viel getönt.
Ich möchte »Spaß im Glas« haben, wie Hendrik Thoma von Wein am Limit so schön sagt. Und damit hat er völlig recht. Wein ist Leben, Spaß, kunterbunt, international, macht lustig, ist ein hohes Kulturgut und sollte permanent gefeiert werden.
Im Restaurant bestellen hauptsächlich Männer den Wein, Frauen sind oft unsicher und überlassen dem Mann gern die Regie, denn sie möchten nichts falsch machen oder etwas Falsches sagen. Mir scheint, diese »Domaine« wird zu oft als persönliches Egoshooting gesehen. »Ich habe diesen Wein ›geschossen‹. Ich habe ihn bestellt! Seht her, Welt, was ich alles über Wein weiß!« Ein bisschen pauschal, aber es ist etwas dran.
Es wird in solchen oft männlich dominierten Runden zu schnell beurteilt, zu schnell wird eine Challenge daraus. Dabei ist das Verkosten auch eine Frage der Muße, der Zeit, die man sich nimmt, um Aromen zu entdecken und Zusammenhänge herzustellen. Und aus meiner Erfahrung sorgt eine vorschnelle und lautstarke Einordnung des Weines für einen festgelegten Weg im Kopf und eine Einschüchterung all der anderen, die vielleicht ein wenig mehr Zeit zum Nachdenken benötigen.
Deshalb kann ich es gar nicht oft genug betonen: immer mit der Ruhe. Zeit lassen, riechen, schmecken, schauen, Fäden zusammenführen und das Gelernte wie ein Puzzle zusammensetzen. Keine Angst! Bei der Weinverkostung und beim Trinken kann man nichts falsch machen. Trauen Sie sich! Nur der Geschmack zählt. Alles andere ist erst mal zweitrangig. Bei mir hat es auch geklappt und ich bin genauso wie jeder Anfänger hineingewachsen in diese spannende Welt. Ich wusste damals nicht, dass Wein so eine Tiefe besitzt und so viel zu erzählen hat über Länder und Menschen. Mein Wissen möchte ich gerne mit Ihnen teilen, damit Sie ohne Scheu probieren und selbst diese Erfahrungen machen können.
Also: Flasche auf, Sinne schärfen, Nase tief ins Glas, lassen Sie alles auf sich zukommen und genießen Sie es, mit jedem Mal mehr und mehr zu erfahren. Das Besondere am Wein ist: Er ist magisch, ein wahnsinnig toller Speisebegleiter, der wie eine Zutat zu einem Gericht hinzugefügt wird. Deswegen: Trinken Sie den Wein parallel mit ausgesuchten Speisen und Sie werden feststellen, wie sich der Wein im Glas verändert.