Lust auf Reisen

203 Jahre Seebad Wyk auf Föhr
6. August 2022

Ein Beitrag von Prof. Oliver Auge


2019 feierte Wyk auf Föhr sein 200-jähriges Jubiläum als ältestes Seebad an der schleswig-holsteinischen Nordseeküste. Die Ursprünge des Ortes bzw. Fleckens lassen sich dabei viel weiter in die Geschichte zurückverfolgen, und zwar bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts. Doch Wyks eigentliche Erfolgsgeschichte beginnt in wirtschaftlich schwerer Zeit im Jahr 1819, als der Land- und Gerichtsvogt Hans Friedrich Carl von Colditz (1786–1872) auf Grundlage zweier Seewasseranalysen und eines ausführlichen Gutachtens, das der Husumer Physikus bzw. Amtsarzt Dr. Thomas F. Friedlieb mit detaillierten Kostenvoranschlägen erstellt hatte, Wyks »wohlhabende Einwohner« zur Gründung einer Seebadeanstalt anregte.

Der Impuls kam offensichtlich gut an. Mit etwas Aktienkapital konnten alsbald ein Haus in Strandnähe für die Warmbäder mit zunächst vier Badewannen eingerichtet sowie drei vierrädrige Badekarren angeschafft und so gleich in der ersten Badesaison 61 Gäste empfangen werden. Der Badeanstalt stand eine Direktion vor, zu der neben von Colditz noch der Fleckendeputierte Knud Levsen und Kaufmann Andersen gehörten. Ersterer war als Wohnungsvermittler für die Badegäste zuständig, Letzterer verkaufte ihnen die Badebillets, beim örtlichen Apotheker wurde eine Mittagsmahlzeit für die Gäste angeboten. Ein vermeintlich problemfreier Start also. Dabei gab es durchaus auch mahnende bis ablehnende Stimmen wie diejenige des Pastors Bahne Asmussen von der St.-Nicolai-Kirche in Boldixum, der im aufkommenden Bade- und Strandleben eine Gefahr für die schlichten Gebräuche und Sitten der Inselfriesen befürchtete.

© Colin Caird

Wer nun meint, solche Misstöne habe es vielleicht nur zu Anfang des 19. Jahrhunderts gegeben, danach aber seien sie angesichts des langfristigen Erfolgs des Seebades verstummt, muss sich durch die Verordnung der Polizeibehörde von 1877 eines Besseren belehren lassen. Besagte Anordnung ging zurück auf eine Beschwerde »wegen der Sittlichkeit, daß nackte Knaben und Mädchen wie Indianer am Strande beisammen sich aufhalten«, und schrieb für die Zukunft vor, dass »von hiesigen Knaben […] der Platz […] an der sog. Flunk allein als Badeplatz benutzt werden« durfte, wohingegen »[d]as Baden von Mädchen im Freien am Wyker Strande […] gänzlich untersagt« wurde.


Wandel und Aufschwung 

Zwischen 1842 und 1847, verbrachte der dänische König Christian VIII. (1786 – 1848) alljährlich mit einem Hofstaat von 80 bis 100 Personen nebst Dienerschaft etwa fünf Wochen im Sommer in Wyk. 1864 wird Wyk preußisch Es fällt auf, dass der preußische Kronprinz Friedrich (1831–1888) zusammen mit seiner Gemahlin Victoria (1840–1901), einer Tochter Queen Victorias, und einem Gefolge von rund 50 Personen gleich im Jahr 1865 einen Badeaufenthalt in Wyk einlegte. Auch 1872 und 1873 hielt sich die Kronprinzenfamilie im Seebad auf; und 1887 sollte noch einmal die geborene Augustenburgerin Auguste Viktoria (1858–1921), Gemahlin des preußischen Prinzen und nachmaligen deutschen Kaisers Wilhelm II. (1859–1941), mit ihren drei ältesten Söhnen hier einen Badeaufenthalt verbringen.

Von 1.000 Gästen 1866 stieg deren Zahl bis 1913 auf 10.000 an.

Der damals lang anhaltende wirtschaftliche Aufschwung in Deutschland, machte Badeaufenthalte zumindest für wohlhabende Gesellschaftsschichten überhaupt erst möglich. Auch der nachhaltige Ausbau der Verkehrsverbindungen, wodurch Wyk nun weitaus besser und einfacher zu erreichen war, spielte für den Aufschwung eine Rolle. 1872 erwarb die Wyker Fährgenossenschaft ein ehemaliges Kanonenboot für den fortlaufenden Fährbetrieb zwischen Wyk und Dagebüll. Eine weitere Fährlinie verband Wyk seit 1878 mit Husum. 1885 wurde schließlich die »Wyker Rhederei-Gesellschaft« ins Leben gerufen, die noch im selben Jahr die alte Wyker Fährgesellschaft übernahm und bei der Howaldt-Werft in Kiel einen neuen Dampfer in Auftrag gab. Der ab 1894 als »Wyker Dampfschiffs-Rhederei-Gesellschaft (W.D.R)« betitelte Fährbetrieb entwickelte sich im Lauf der Zeit unter Ausschaltung der noch bis 1902 bestehenden lokalen Konkurrenz zum bis heute bedeutendsten Unternehmen der Stadt und Insel. 1892 erhielt der Wyker Hafen zudem anstelle der bisherigen Holzbrücke eine neue Pier. Drei Jahre darauf wurde mit starkem Wyker Anteil die ebenfalls bis heute existente Kleinbahn zwischen Niebüll und Dagebüll gebaut, nachdem 1887 die sogenannte »Marschenbahn« mit wichtigem Knotenpunkt in Niebüll und Endhalt in Tondern ihren Betrieb aufgenommen hatte.

© Kunsthalle zu Kiel

Heil- und Kurbad

Zu den Faktoren, die den Aufwärtstrend des Seebades Wyk begünstigten, trat seine verstärkte Entwicklung zum Heil- und Kurbad, insbesondere für lungenkranke Kinder. So legte der Marburger Anatomieprofessor Dr. Friedrich Wilhelm Beneke (1824–1882) am 7. September 1881 den Grundstein für ein erstes Hospiz für Kinder, nachdem er bei der preußischen Königsfamilie die Gründung eines »Vereins zur Errichtung von Kinderheilstätten an den Deutschen Küsten« erreicht hatte. Die Baumaßnahmen wurden bis Juni 1883 abgeschlossen, sodass hier zunächst 80, später 270 Kinder gleichzeitig einen Kuraufenthalt zur Wiedererlangung ihrer Gesundheit oder zur Vorbeugung von Krankheiten verbringen konnten. Das Haus wurde 1923 von der Freien und Hansestadt Hamburg gekauft, weswegen es seither »Hamburger Kinderheim« genannt wurde, und existiert bis heute.

Zahlreiche weitere Kindererholungsheime folgten, so zum Beispiel das Kinderheim »Schöneberg« mit 110 Betten, das 1907 zur Bekämpfung der Tuberkulose ins Leben gerufen wurde, oder das Kinderheim »Haus Tanneck«, das aus dem 1909 gegründeten »Nordseehospital« hervorging. Insgesamt entstanden über 25 solcher Kinderheime in privater oder öffentlicher Trägerschaft. Sie begründeten Wyks Ruf als Kinderbad.

Da die Insel Föhr nicht zum militärischen Sperrgebiet erklärt wurde, konnte der Badebetrieb selbst während des Ersten Weltkrieges weiterlaufen, auch wenn die Gästezahlen zurückgingen: Im Jahr 1916 wurden 3.420, 1918 aber immerhin 7.500 Gäste gezählt. So konnte die Feier zum 100-jährigen Gründungsjubiläum des Seebades 1919 vergleichsweise würdig, aber wegen der Kriegsniederlage bewusst »[n]icht als Freudenfest« begangen werden. Mit den wirtschaftlichen Problemen der Zwischenkriegszeit hatte denn auch Wyk zu kämpfen, das sich bei der Volksabstimmung über die künftige Zugehörigkeit zu Dänemark oder Deutschland mit 709 zu 112 Stimmen für den Verbleib  bei Deutschland entschied. Viele ehemalige Badegäste konnten sich derweil keinen längeren Urlaub mehr leisten.

Konnten sich lange nur Angehörige des gehobenen Bürgertums den Aufenthalt in einem Seebad leisten, kamen in den 1930er-Jahren vermehrt auch kleine Angestellte, Arbeiter, Hausfrauen und eben Kinder hierher. Ein Staatszuschuss von 330.000 RM zur Tilgung der immensen Gemeindeschulden und weitere Fördermittel zur Hafenerneuerung kamen der weiteren Entwicklung Wyks positiv zugute. Dem gegenüber stand die rassistische Politik der Nationalsozialisten, die vor allem zur öffentlichen Diskriminierung jüdischer Gäste und Kinder führte. Leute der örtlichen SA schlugen Scheiben im Kinderheim des jüdischen Frauenbundes ein, ein anderes namens »Haus Weinberg« wurde »arisiert«, also den jüdischen Besitzern weggenommen. Die meterhohe Schriftzeile »Hinaus mit den jüdischen Kinderheimen« prangte bis zum Südstrand in mehrfacher Wiederholung an der Promenadenmauer. Schulkinder wurden zum Hafen geführt, wo sie abreisende jüdische Kinder bespucken und beschimpfen sollten. Sicher ist, dass die Nationalsozialisten – vielleicht auch wegen der Ausschaltung als lästig empfundener jüdischer Konkurrenz – weitaus mehr Zuspruch erhielten, als man lange zuzugeben gewillt war.

© Verlag Rudolf Lambeck Berlin Archiv Der Ferring Stiftung AlkersumFoehr B

Nachkriegszeit

Als eines der ersten Gebäude konnte 1947 das Kurhaus an die HAPAG verpachtet und wiederhergerichtet werden. In diesem Jahr sollen aber bereits wieder rund 4.900 Kurgäste nach Wyk gekommen sein. 1950 erhielt Wyk dann den begehrten Titel eines staatlich anerkannten Nordseeheilbades, was den Zustrom von Gästen weiter beflügelt haben dürfte. Bemerkenswert ist, dass in der unmittelbaren Nachkriegszeit die Zahl der regulären Kurgäste durch jene der Kinder in sozialen oder privaten Heimen deutlich übertroffen wurde: So kamen 1949 5.059 Kinder nach Wyk, wohingegen »nur« 3.888 Kurgäste gezählt wurden. Erst 1956 überrundeten die regulären Kurgäste mit einer Zahl von 16.250 Personen diejenige der Kindergäste in Höhe von 9.452.

Im Jubiläumsjahr 1969 erreichte man erstmals die Millionenmarke bei den gezählten Übernachtungen. Eine gestiegene Bevölkerungszahl, das Wirtschaftswunder der Nachkriegszeit, mehr Urlauber: All das ließ eine verbesserte Infrastruktur in Wyk nötig, aber auch möglich werden.

Daneben sind speziell den Tourismus fördernde Maßnahmen zu nennen wie zum Beispiel der Bau eines Kurmittelhauses 1957, die Herstellung eines Kurgartensaales 1959, Anschaffung neuer Strandkörbe in großer Zahl, der massive Ausbau des Hafens und Fähranlegers zwischen 1960 und 1984 mit drei Fährbecken samt beweglicher Rampe (1968/1970) sowie Sportboot- und Fischereihafen (1984) oder der 1969 begonnene und 1970 abgeschlossene Bau eines Meerwasser-Wellenhallenbades. Es wurden viele Hotels, Pensionen und Geschäftshäuser erweitert oder ganz neu errichtet. Hinzu kam ein wahrer Bauboom bei den Eigenheimen, der ganz neue Straßenzüge und Wohnviertel entstehen ließ. Diese Häuser dienten nicht selten zugleich der Vermietung von Einzelzimmern sowie mehr und mehr von Ferienappartements für die immer noch weiter anwachsende Zahl von Urlaubsgästen. Die Gästestatistiken eilten bis in die 1990er-Jahre und darüber hinaus von Rekord zu Rekord. 1992 wurden 116.038 Urlauber inklusive der Heimkinder gezählt, die Zahl der Übernachtungen für die gesamte Insel Föhr lag weit über der 1,5-Millionen-Marke. Im selben Jahr beförderten die W.D.R.-Schiffe 280.000 Kraftfahrzeuge und mehr als zwei Millionen Menschen. Nach leicht rückläufiger Tendenz in den 2000er-Jahren wurde 2017 mit 1,85 Millionen Übernachtungen ein neuer Rekord »geknackt«.

Zur Zunahme trug dabei spürbar die Ausweitung der Saisonzeiten bei: Immer mehr Urlauber verbringen nun auch im Herbst oder Winter Erholungstage in Wyk und auf der Insel Föhr. Kam in den 1960er-Jahren ein großer Teil der Gäste aus Schleswig-Holstein, Hamburg und Berlin, so stellen heute Besucherinnen und Besucher aus Nordrhein-Westfalen die Mehrheit. Aus der Schweiz stammen die meisten internationalen Gäste.

Laut Focus-Siegel gehörte Wyk auf Föhr 2018 zu den »Top 15« der deutschen Kurorte. Darauf kann man vor Ort in jedem Falle stolz sein. Doch ausruhen sollte man sich darauf nicht. Seit Jahren sind nämlich die Probleme dieselben und sie nehmen spürbar weiter zu: Der Klimawandel bedroht die sensible Inselküste, Plastik verschmutzt mehr und mehr das Meer, dessen Sauberkeit Wyk so viel verdankt, Wohnungsnot und explodierende Immobilienpreise – Probleme, mit denen die benachbarte Insel Sylt schon sehr viel intensiver zu kämpfen hat – erschweren den Föhrerinnen und Föhrern das Inseldasein. Überhaupt ist der Massentourismus, um den es mittlerweile geht, für Wyk Segen und Fluch zugleich. Man denke nur an die Blechlawine der Urlauberautos, die sich an jedem Tag der Saison über die Stadt und die Insel ergießt. Um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, werden seit einigen Jahren Konzepte und Pläne entwickelt, die auf einen sogenannten »sanften Tourismus« sowie eine stärkere Berücksichtigung des Naturschutzes abzielen und sich um eine möglichst weitgehende Bewahrung der insel-friesischen Ursprünglichkeit bemühen. Letztlich gilt aber auch hierfür die Devise, die das Stadtwappen ziert und die in nahezu jeder Darstellung zur Geschichte Wyks zitiert wird: »Incertum quo fata ferunt« (»Ungewiss ist, wohin uns das Schicksal führt«).


Prof. Dr. Oliver Auge ist Direktor der Abteilung für Regionalgeschichte mit dem Schwerpunkt der Geschichte Schleswig-Holsteins am Historischen Seminar der CAU zu Kiel.

© Wienand Verlag

Katalog zur Ausstellung

Ulrike Wolff-Thomsen
„200 x Badesaison. Seebad Wyk auf Föhr 1819 bis 2019“

mit Beiträgen von Oliver Auge, Henrik Becker-Christensen, Eva Fuhry, Anna-Sophie Laug, Pia Littmann, Katrin Maibaum, Sabine Schlenker

272 Seiten, mit 191 farbigen und 132 s/w Abbildungen
ISBN 978-3-86832-509-6, erhältlich im Wienand Verlag